Steife Prise
in Betracht zu ziehen, dass man sich geirrt haben könnte – ein wahrer Aristokrat hingegen weiß, dass er immer Recht hat. Das hat nichts mit Eitelkeit zu tun, es handelt sich viel eher um eine eingebaute absolute Gewissheit. Auch wenn diese Aristokraten manchmal so verrückt wie die Märzhasen sind, so sind sie in ihrer Verrücktheit doch immer absolut und felsenfest von sich überzeugt.«
Mumm sah ihn voller Verwunderung an. »Woher weißt du das alles, Willikins?«
»Ich habe sie beobachtet. In der guten alten Zeit, als der Großvater Ihrer Ladyschaft noch lebte, hat er immer dafür gesorgt, dass das gesamte Personal der Teekuchenstraße im Sommer mit der Familie hierherkam. Wie Ihr wisst, bin ich kein großer Gelehrter, und Hand aufs Herz, Ihr seid es auch nicht, aber jeder, der auf der Straße aufwächst, lernt sehr schnell, weil er sonst sehr schnell tot ist.«
Sie überquerten eine Zierbrücke, die einen Fluss – den Forellenbach? – überspannte. Wahrscheinlich, so vermutete Mumm, ein Zufluss des »Trügerischen Alten«, ein Name, dessen Ursprung er erst noch auf den Grund gehen musste. Zwei Männer und ein kleiner Junge gingen über eine Brücke, die ganze Menschenmengen mitsamt Karren und Pferden hätte tragen können. Die Welt schien aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.
»Durch diese absolute Gewissheit der eigenen Unfehlbarkeit«, fuhr Willikins fort, »sind sie zu ihrem vielen Geld und dem vielen Land gekommen. Manchmal haben sie beides dadurch natürlich auch wieder verloren. Einer von Lady Sybils Großonkeln hat einmal eine Villa und zweitausend Morgen erstklassiges Ackerland eingebüßt, weil er mit absoluter Gewissheit daran geglaubt hat, dass eine Garderobenmarke drei Asse schlagen kann. Bei dem darauffolgenden Duell kam er ums Leben, aber wenigstens war er absolut tot.«
»Das ist Snobismus, und Snobismus kann ich überhaupt nicht leiden«, erwiderte Mumm.
Willikins rieb sich nachdenklich die Nase. »Nein, Herr Kommandeur, das ist kein Snobismus. Meiner Erfahrung nach findet man so etwas beim wahren Adel nicht. Bei den wirklich von sich selbst Überzeugten, meine ich … Die scheren sich nicht darum, was die Nachbarn denken oder dass sie in alten Kleidern herumlaufen. Sie ruhen in sich selbst, versteht Ihr? Als Lady Sybil noch jünger war, kam die Familie immer zum Schafescheren hierher. Ihr Vater hat wie alle anderen angepackt, hat sich die Ärmel aufgekrempelt und so weiter. Und er hat dafür gesorgt, dass hinterher für alle Männer eine Runde Bier bereitstand, die er dann auch mit ihnen getrunken hat, einen Krug nach dem anderen. Natürlich war er von Haus aus Brandy-Trinker, deshalb warf ihn das bisschen Bier nicht gleich um. Er hat sich nie groß Gedanken darum gemacht, wer er war. Er war ein anständiger alter Knabe, Lady Sybils Vater – und ihr Großvater ebenso. Sich und ihrer Sache absolut sicher, da gab es keinen Zweifel.«
Sie spazierten eine Weile eine Kastanienallee entlang, bis Mumm missmutig sagte: »Willst du damit sagen, dass ich nicht weiß, wer ich bin?«
Willikins richtete den Blick hinauf in die Bäume und antwortete nachdenklich: »Sieht aus, als würden wir in diesem Jahr jede Menge Rosskastanien kriegen, Herr Kommandeur, und ich würde vorschlagen, dass Ihr den Jungen hierherbringt, wenn sie anfangen herunterzufallen. Als Kind bin ich jahrelang der ungeschlagene Champion von ›Schlag meine tote Ratte kaputt‹ gewesen, bis ich dahintergekommen bin, dass man das eigentlich mit Kastanien spielt, weil die nicht so leicht aufplatzen. Aber zurück zu Eurer Frage«, fuhr er fort. »Ich glaube, dass Sam Mumm immer dann am Besten ist, wenn er darauf vertraut, dass er Sam Mumm ist. Meine Güte, was sind die Dinger in diesem Jahr früh dran!«
An dieser Stelle war die Kastanienallee zu Ende. Vor ihnen lag ein Obstgarten mit lauter Apfelbäumen. »Nicht gerade die allerbesten Äpfel, im Vergleich«, sagte Willikins, während er mit Mumm und Klein-Sam hinüberging und sie dabei auf der mit weißem Puderstaub bedeckten Straße kleine Wölkchen aufwirbelten. Der Kommentar kam Mumm eher belanglos vor, Willikins hingegen schien dem Apfelgarten allerhöchste Wichtigkeit beizumessen.
»Das will der Kleine bestimmt sehen«, sagte Willikins begeistert. »Ich selbst habe es gesehen, als ich noch ein Stiefeljunge war. Hat meine Sicht auf die Welt völlig verändert. Der dritte Graf, der ›Verrückte‹ Herbert Käsedick, hatte einen Bruder namens Woolsthorpe, was ihm ganz
Weitere Kostenlose Bücher