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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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gehabt, an einem Wochentag um diese Uhrzeit einfach faul am Strand zu liegen.
    »Gut.«
    »Was treibst du denn so in den Ferien?«
    »Och, so abhängen halt.«
    »Aha. Am Strand?«
    »Auch.«
    »Mmh.«
    Ein tiefes Dröhnen erhob sich über dem Wasser und legte sich über die Kulisse der gewohnten Strandgeräusche. Es kam von einem riesenhaften Motorboot, das quer über die Lübecker Bucht raste. Seit ein paar Jahren gab es immer mehr von diesen sogenannten Powerbooten, die tankwagenweise Treibstoff verbrauchten und den Lärm eines startenden Düsenjets verursachten. Krampfhaft überlegte Angermüller, wie er den Jungen, der gelangweilt dem Boot hinterher sah und sich bestimmt gleich wieder absetzen würde, aus der Reserve locken könnte. Aus seinen Vernehmungen sollte er ja an schwierige Gesprächspartner gewöhnt sein.
    »Treibst du eigentlich Sport?«
    Befremdet sah Marco ihn an. Wieso stellte ihm ausgerechnet sein Onkel, der nicht gerade als Sportskanone bekannt war, diese Frage? Angermüller fügte schnell hinzu:
    »Ich meine, du hast ganz schön Muckis gekriegt, oder? Gehst du irgendwo zum Pumpen?«
    Diesen Ausdruck hatte er schon öfter bei jüngeren Kollegen gehört, die regelmäßig in Sportstudios Gewichte stemmten, für starke Arme und Waschbrettbauch. Marcos Oberarme sahen zwar keineswegs sonderlich kräftig aus, aber der Junge schien sich geschmeichelt zu fühlen und strich mit der Hand über seinen sich leicht wölbenden Bizeps.
    »Ja, ne! Ist schon was zu sehen!«
    »Ja, wirklich! Sieht man sofort! Wo trainierst du denn?«
    »Ach, in so nem Studio.«
    »Bei Euch in Timmendorf?«
    »Nee, in Lübeck.«
    »Lübeck – ist das nicht ein bisschen umständlich? Wie kommst du denn da hin? Du kannst doch noch nicht Auto fahren?«
    »Nö. Aber meistens fahr ich mit Freunden, manchmal mit dem Roller und außerdem mach ich bald den Führerschein.«
    »Wie lange trainierst du denn schon?«
    »Ich hab erst vor ein paar Wochen angefangen, aber bringt ordentlich was!«
    »Ja, ordentlich! Sag mal, Marco, kennst du zufällig das ›Studio 88‹?«
    »Ja, das«, Marco sah seinen Onkel erstaunt an und unterbrach sich dann, »da hab ich schon von gehört.«
    »Bist du nicht auch schon mal dort gewesen?«
    Man konnte sehen, wie es in Marcos Hirn arbeitete. Die Fragen seines Onkels kamen völlig unerwartet und er schien nicht zu wissen, wie er damit umgehen sollte.
    »Ein oder zwei Mal vielleicht.«
    »Weißt du eigentlich, warum das ›Studio 88‹ heißt?«
    Sichtlich verunsichert schüttelte Marco nur stumm den Kopf und malte mit dem nackten Fuß konzentriert eine Acht nach der anderen in den warmen Sand. Angermüller konnte nicht erkennen, ob sein Neffe bluffte oder ihm diese Zahl wirklich nichts sagte.
    »Die Zahl acht steht für den achten Buchstaben im Alphabet, das ›H‹ und 88 bedeutet ›HH‹. Die Neonazis benutzen die Abkürzung für ›Heil Hitler‹ – hast du noch nicht davon gehört?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    Marco wand sich verlegen und suchte nach einer Möglichkeit, Angermüllers Fragen zu entkommen. Seine Mutter, die etwas abseits stand und den Wortlaut nicht hören konnte, hatte das Gespräch zwischen Onkel und Neffe zuerst mit Wohlgefallen verfolgt. Doch dann war ihr nicht entgangen, dass ihr Sohn sich bedrängt zu fühlen schien und sie fragte halb im Scherz, halb im Ernst: »Ist das ein Verhör, Herr Kommissar, was Sie da mit meinem Sohn veranstalten?«
    »Natürlich nicht, Gudrun. Ich würde nur gerne von Marco wissen, ob er weiß, dass das Sportstudio, in dem er manchmal trainiert, ein beliebter Treffpunkt der Neonaziszene ist.«
    »Wie bitte?«, Gudrun sah ihren Schwager entgeistert an. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Er ist da heute Nachmittag gesehen worden.«
    Bei diesen Worten meinte Angermüller, ein leichtes Erschrecken in Marcos Gesicht wahrzunehmen.
    »Wirklich? Stimmt das, Marco? Nun sag schon!«
    Gudrun lenkte mit ihrer aufgeregten Reaktion die Aufmerksamkeit der anderen Familienmitglieder auf sich. Marco antwortete nicht und Angermüller fragte sich, ob es richtig war, ausgerechnet bei diesem familiären Treffen sein Wissen zu offenbaren. Andererseits konnte er so vielleicht informell klären, inwieweit der Junge in die rechte Szene verstrickt war, ohne ihn gleich ins Kommissariat einzubestellen.
    »Was ist denn los? Hat mein Sohn was verbrochen?«
    Als Marco die laute Stimme seines Vaters hörte, schien er kleiner zu werden und Angermüller sah sich genötigt, eine

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