Steilufer
mit dem Kopf im Schatten neben einen der Strandkörbe auf sein Handtuch gelegt und es hatte gar nicht lange gedauert und er war eingedämmert.
Dankbar nahm Georg Angermüller ein Glas Mineralwasser entgegen, das seine Schwägerin Gudrun ihm anbot und versuchte, die Schläfrigkeit abzuschütteln, die ihn in der Wärme überkommen hatte.
»Ja, heute ist das Wetter wunderbar – aber bis Sonnabend ist noch lange hin, wer weiß, wie es da sein wird. Warum muss das nur immer so eine Zitterpartie sein an meinem Geburtstag?«
Zu Johannas Geburtstag bestand für die ganze Familie Anwesenheitspflicht und jedes Jahr gab es wieder die Diskussion: drinnen oder draußen? Spielte das Wetter mit, damit man an der langen Kaffeetafel in dem wunderschönen Garten sitzen und Johannas berühmte Lübecker Nuss-torte genießen konnte?
»Ich weiß auch nicht, ob wir abends dann grillen sollten? Wenn wir ein Buffet machen, dann sind wir nicht so vom Wetter abhängig.«
»Also, deine selbst gemachten Bratheringe, die finde ich an so einem Sommerabend immer herrlich erfrischend! Und die kann man drinnen und draußen essen!«
Georg Angermüller lief bei dem Gedanken an den würzigen, sauren Bratfisch das Wasser im Munde zusammen. Das pappige Brötchen, das er sich im Personalrestaurant geholt hatte – dieses Etablissement betrat er nach diversen Erfahrungen aus Prinzip nur noch in Notfällen – hatte er nach wenigen Bissen beiseite gelegt.
»Ach, schmecken dir meine Bratheringe? Hast du die denn noch nicht selbst gemacht? Ich gebe dir gerne das Rezept!«
Johanna schien sichtbar geschmeichelt, so ein Lob aus dem Mund ihres kulinarisch bewanderten Schwiegersohnes zu hören. Es war aber auch das einzige Fachgebiet, in dem sie ihm Kompetenz zubilligte.
»Mir schmeckt alles bei dir!«
Das war natürlich ein wenig übertrieben. Johannas mehr als gar gekochte Gemüse, das viele Mehl in ihren Soßen und die ewigen Salzkartoffeln als Beilage waren nicht unbedingt nach Angermüllers Geschmack, aber die Momente der Harmonie mit der alten Frau waren so selten, dass er nicht umhin konnte, sie ein wenig auszukosten.
»Du könntest auch mal wieder das Zungenragout mit der Hagebuttensoße machen – einfach köstlich! Und dann noch einen ›Großen Hans‹! Das wäre ein Festessen!«
»Ach, so ein ›Großer Hans‹ ist doch nichts für einen Geburtstag«, wehrte Johanna huldvoll lächelnd ab.
»Na, Georg? Hungrig?«, fragte Gudrun hinterlistig. »Peter und der Junior kommen bestimmt bald mit den großen Picknickkörben.«
Peter war Gudruns Mann. Er stammte aus einer Timmendorfer Gastronomenfamilie und fühlte sich bei Familienzusammenkünften dieser Art immer für die Verpflegung verantwortlich – zu Angermüllers Leidwesen. Peter mochte zwar Hotelfachmann sein, doch von wirklich gutem Essen hatte er keine Ahnung. Gudrun und Peter betrieben zusammen das ererbte Hotel mit Restaurant in Niendorf, dem etwas weniger schicken Teil von Timmendorfer Strand, den Georg mit dem kleinen Hafen und seinem Strand sehr sympathisch fand. Die beiden lebten nicht schlecht von ihrem Hotelbetrieb, doch ließen sie oft genug durchblicken, dass sie sich im Nachteil fühlten, weil sie natürlich lieber das Firstclass-Hotel von Peters älterem Bruder direkt an der noblen Timmendorfer Strandallee ihr eigen genannt hätten.
Der ›Junior‹ war Angermüllers Neffe Marco, das einzige Kind von Gudrun und Peter, und sein Lebensweg schien vorgezeichnet: Als Sohn eines Mitglieds der Overmann-Familie wurde ihm bereits mit seiner Geburt die Pflicht zum Erhalt der Dynastie und des Erbes in die Wiege gelegt. Ob der Junge dies wollte oder die Fähigkeiten dazu mitbrachte, das wurde nicht gefragt. Georg wandte sich an seine Schwägerin:
»Wie gehts denn dem Marco? Hab ihn schon ewig nicht gesehen«
»Dem gehts gut, aber ich seh ihn auch kaum im Moment. Du weißt ja, wie die jungen Leute in den Ferien so sind: Sie liegen bis Mittag im Bett, dann wird wild herumtelefoniert und dann sind sie verschwunden bis in die frühen Morgenstunden. Aber er hatte auch ein gutes Zeugnis und da hat sich das unser Junior auch verdient. Er muss sich ja mal amüsieren dürfen.«
Schon immer sprach Gudrun nur lobend über ihr einziges Kind. Auch wenn allgemein bekannt war, dass Marco in der Schule keine Leuchte war und die letzte Klasse wiederholen musste, für sie war er ein begabter Schüler und nur die Lehrer oder die Mitschüler hatten Schuld an seinem Scheitern.
»Nach den Ferien geht
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