Steilufer
nicht allzu sehr.«
Martin wurde der ganzen Familie vorgestellt und dann endlich konnte man anfangen zu essen. Peter hatte seine Großpackungen mit Buletten, die Würstchen und Salateimer geöffnet und verteilte Plastikteller und ebensolches Besteck. Vorsichtig bediente sich Angermüller von dem Kartoffelsalat, nahm ein Würstchen und etwas Senf und beschloss gleich nach der ersten Gabel, sich nicht mit den glasigen Kartoffeln in schmieriger Tunke den Magen zu verderben. Das Würstchen und der Senf waren in Ordnung, die graubraunen Buletten hatte er lieber gleich liegen lassen. Die anderen waren des Lobes voll über das köstliche Strandbuffet und Georg fragte sich, wozu er sich bei seinen Einladungen für diese Truppe immer so eine Mühe gab.
Er ließ die gummiartigen Brötchen liegen, schnitt sich ein dickes Stück Gouda ab und merkte, dass sein vor kurzem noch riesiger Hunger schon fast gestillt war. Man musste ihm nur Essen in dieser Qualität vorsetzen und er würde abnehmen – doch welche anderen Genüsse würde er auf diese Weise versäumen! Eigentlich hätte er gerne mit Astrid über ihren Neffen gesprochen und ihre Ansicht zu den Dingen gehört, aber zum einen saß die ganze Familie drum herum und zum anderen war da Martin, der sich wieder als Erzähler betätigte und alle mit Erlebnissen aus seinem Seglerleben unterhielt. Zugegeben waren das zum Teil ganz amüsante Geschichten, trotzdem spürte Georg leisen Ärger, dass dieser Mensch sich so in den Vordergrund spielte. Astrids Familie, mit der ihm selbst der Umgang oft nicht leicht fiel, wickelte Martin einfach um den Finger. Auch Astrid amüsierte sich wieder köstlich. Georg fühlte sich ausgeschlossen und er sah die Hoffnung schwinden, an diesem Abend mit Astrid einmal wieder in Ruhe reden zu können.
Der Klingelton seines Diensthandys riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.
»Claus, was gibts?«
»Na, du Beachboy! Isses nett bei deinem Strandpicknick?«
»Geht so. Aber deshalb rufst du nicht an, nehm ich an?«
»Der Motorroller von dem Vermissten ist aufgetaucht. Ich dachte, du willst vielleicht ...«
»Klar! Holst du mich ab?«
»Bin schon unterwegs!«
7
Helles Licht empfing Georg Angermüller, als er um kurz nach sechs das Badezimmer betrat. Er sah aus dem Fenster in das kleine Stück Himmel, das sich zwischen den Obstbäumen am Ende des Gartens und dem Nachbardach wölbte. Kein einziges Wölkchen mischte sich in das klare Blau. Auch dieser Tag würde sommerlich heiß werden und er verspürte den Wunsch nach Leichtigkeit; nur keinen unnötigen Ballast bei diesen Temperaturen. Intensiv begutachtete er das Bild, das der Spiegel über dem Waschbecken von seinem Gesicht zurückwarf. Normalerweise verschwendete er darauf keine Zeit, doch heute interessierte ihn, was er sah. Er musste feststellen, es gefiel ihm gar nicht. Kräftige, dunkle Locken umrahmten sein Gesicht, von dem nicht viel zu sehen war, denn ein dichter Vollbart verbarg die Hälfte davon. Einem plötzlichen Impuls folgend, griff er zum Rasierapparat und begann, sich den Bart abzunehmen.
Seine Gedanken wanderten zurück zum Vorabend und sofort sah er wieder Astrid und Martin am Strand in ein ernstes Gespräch vertieft, Martin, lässig und locker die Verwandtschaft unterhaltend, Astrid zum Lachen bringend, Martin, der sportlich Aktive, Martin, der Herr der sieben Meere. Nur ein paar Millimeter ließ er noch von seinen Barthaaren stehen. Der Mann im Spiegel kam ihm jetzt ziemlich unbekannt vor, erinnerte ihn höchstens vage an den Angermüller von vor, ja, wie viele Jahre hatte er eigentlich schon diesen Vollbart getragen? Viel zu lange jedenfalls. Er fühlte sich plötzlich wie befreit und voller Tatkraft. Die kleinen Schwierigkeiten mit Astrid in den letzten Wochen würde er in den Griff kriegen, es war alles nur eine Frage der Kommunikation, Missverständnisse, die sich klären ließen. Und wer war schon Martin? Seine Anwesenheit hatte höchstens bewirkt, dass Angermüller ohne zu großes Bedauern die Runde am Strand verlassen hatte, als er von Jansen zum Fundort des Rollers geholt worden war.
Dieser Fundort lag in einem kleinen Wäldchen aus Laubbäumen, wo von der schmalen Straße eine unbefestigte Zufahrt zu einem Bauernhof führte und war höchstens einen Kilometer von der ›Villa Floric‹ entfernt. In einer kleinen Senke hatten die Jungen beim Spielen den Roller entdeckt. Er war vollständig unter einem Haufen aus erdigem Wurzelwerk, Zweigen und trockenem Laub verborgen
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