Steilufer
stand in unregelmäßigen, ungelenken Buchstaben: ›Arbeit den Deutschen – Ausländer raus!‹
»Idiots!«, war alles, was Yann im ersten Moment einfiel. Dann dachte er sofort an Anna, welche Wirkung diese Schmiererei auf sie haben würde, dass ihre alten Ängste, die er endlich überwunden glaubte, nun wieder vollkommen von ihr Besitz ergreifen könnten, vor allem wegen Lionel, und er wurde wütend. Hatte sich denn die ganze Welt gegen ihn verschworen?
Wahrscheinlich hatte Anna doch recht und Fouhad war in die Hände dieser Ausländerhasser gefallen. Er überlegte, ob er versuchen sollte, sie über Handy zu erreichen, entschied sich aber dagegen. Sie musste erst einmal den Termin in der Bank hinter sich bringen. Von dieser Schweinerei würde sie noch früh genug erfahren.
Auf jeden Fall würde er sich davon die gemeinsamen Zukunftspläne nicht kaputt machen lassen, jetzt wo sich gerade alles so gut entwickelte. Ihn würden diese hirnlosen Schläger ganz bestimmt nicht einschüchtern. Dann kam ihm eine Idee. Neben einigen Nachteilen gab es eine Menge guter Gründe, die Presse über den Vorfall zu informieren. Yann rief einen Redakteur der Lübecker Zeitung an, der häufig Gast im Restaurant war und seinen Hinweis hochinteressant fand. Er wollte sofort einen Reporter schicken. Danach informierte er die Polizei.
»Mensch, Claus, wer ist denn der hübsche, junge Mann neben dir? Ein Neuer?«
Mit einem Grinsen deutete Ameise, der, wie meist an einem Tatort, in einem weißen Schutzanzug steckte, auf Angermüller, als der und Jansen vor der ›Villa Floric‹ ankamen. Jansen schnitt nur eine Grimasse und Angermüller tat, als ob er die Frotzelei nicht gehört hätte. Schon den ganzen Morgen musste er die Kommentare der Kollegen ob seines bartlosen Gesichtes über sich ergehen lassen, was die Hochstimmung, mit der er den Tag begonnen hatte, merklich dämpfte. Allerdings hatte er aus fast allen dieser dummen Bemerkungen herausgehört, dass er um Jahre jünger aussah und das war ja nicht das Schlechteste.
Auf dem gepflegten Rasen vor der alten Villa waren neben Ameise noch zwei weitere Kriminaltechniker damit beschäftigt, die Parolen an der Fassade zu untersuchen.
Auch Sobinsky und Eichhorn vom Kommissariat 5 waren schon vor Ort, fotografierten und machten sich Notizen. Ausländerfeindliche Parolen waren Alltagsroutine für die Männer der ›Ermittlungsgruppe Politisch Motivierte Kriminalität Rechts‹, wie sich diese Abteilung des Staatsschutzes etwas umständlich nannte und Angermüller beneidete sie weder um ihre Aufgabe noch um ihre Klientel. Allzu oft passierte es, dass sie offenkundig neonazistisch motivierte Taten und Täter aufdeckten, die ungeahndet bleiben mussten, da die rechte Szene oder ihre Anwälte mit leicht durchschaubaren Manövern auf der Klaviatur des freiheitlich-demokratischen Rechtssystems spielten. Mit Dreistigkeit zogen sie immer wieder den Kopf aus der Schlinge, indem sie beispielsweise behaupteten, das offensichtlich abgebildete Hakenkreuz wäre gar keins, da ein Häkchen fehlte.
Die Kollegen begrüßten sich und auch Eichhorn und Sobinsky musterten Angermüller sehr aufmerksam, sagten aber nichts zu seinem veränderten Aussehen. Es war, wie vorausgesagt, wieder ein makelloser Sommertag, nur ein ganz leises Lüftchen wehte und über der Ostsee lag ein zarter Dunstschleier, sodass Meer und Himmel sich am Horizont nicht mehr trennten. Die Szenerie hatte die Leichtigkeit eines impressionistischen Gemäldes. Umso absurder der Anblick der hässlichen Parolen, mit denen jemand ohne jeden Respekt die sorgfältig instand gesetzte, hübsche Jugendstilfassade der ›Villa Floric‹ verunziert hatte.
»So viel ist klar: Die Schrift wurde gesprüht. Es ist eine sehr schnell trocknende Farbe und deshalb schwierig, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, wann sie aufgebracht wurde. Aber wir haben Proben genommen, um die Art der Farbe zu bestimmen. Vielleicht kommen wir ja im Labor auch dem Sprühzeitpunkt auf die Spur. Verwertbare Fußabdrücke: Fehlanzeige.«
Ameise resümierte für Angermüller und Jansen sowie die Kollegen vom Staatsschutz, was er vom Kriminaltechnischen her bisher sicher sagen konnte. Es war nicht viel.
»Danke, Andreas. Ich hoffe, ihr habt später noch Neuigkeiten für uns.«
»I’ll do my very best!«
»Und Kollegen, habt ihr schon einen Tipp?«, wandte sich Jansen an Sobinsky und Eichhorn. »Irgendeine Handschrift zu erkennen?«
Sobinsky schüttelte den Kopf.
»So, wie
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