Steilufer
Schmierereien an der Villa gesprochen?«
»Natürlich! Fast jedes Mal spricht er mich auf meine ausländischen Mitarbeiter an. Er sagte heute, ich hätte wissen müssen, dass so etwas passiert, er hätte mich immer schon gewarnt. Der Unmut in der deutschen Bevölkerung wachse.«
»Der Mann scheint wirklich einer von den Unbelehrbaren zu sein. Tut mir leid, dass Sie sich jetzt auch noch mit solchen Leuten auseinandersetzen müssen. Von dem verschwundenen Mitarbeiter weiß er nichts?«
»Von uns hat ihm jedenfalls keiner von ihm erzählt.«
»Dann lassen wir jetzt besser dieses unerfreuliche Thema, tut mir leid.«
»Sie können ja nichts dafür, Herr Kommissar! Es ist nur so schade: Da denkt man, jetzt ist man auf einem himmlischen Fleckchen Erde gelandet, wo alles überschaubar, nett, nachbarschaftlich ist und dann merkt man, dass hinter manch einer freundlichen Fassade Missgunst, Neid und Hass wuchern, die sich zuallererst gegen alles Fremde richten, weil das Fremde diesen Leuten Angst macht. Viele sind ja einfach nur dumm, suchen sich jemanden, auf den sie meinen, herabblicken zu können – wenn ich zum Beispiel an unseren Matte denke. Aber andere, wie dieser Burmester, ich weiß nicht, welche Motive bei ihm dahinterstecken.«
Anna schüttelte ratlos den Kopf. »Jetzt aber Schluss mit diesem unerfreulichen Thema!«, sagte sie dann und schenkte noch eine Runde Goutte in die Gläser aus der Flasche, die Djaffar vorsorglich auf dem Tisch hatte stehen lassen.
Noch eine ganze Weile blieben sie zusammen auf der Terrasse sitzen, die sich allmählich geleert hatte und später kam auch noch Yann zu ihnen an den Tisch. Sie redeten über die Besonderheiten der bretonischen Küche wie der holsteinischen, scherzten über die englische, was Davids lebhaften Widerspruch hervorrief und genossen die milde, klare Sternennacht. Georg Angermüller beobachtete sehr genau, dass zwischen Anna Floric und Yann Tanguy sich etwas zu entwickeln schien, das ihm vor ein paar Tagen noch nicht aufgefallen war.
Als der Kommissar gegen 1 Uhr nach Hause kam, war natürlich alles dunkel, Astrid und die Kinder schliefen schon. Er ging in die Küche, um noch ein Glas Wasser zu trinken. Auf dem Tisch lag ein Zettel: ›Georg, du hattest versprochen, mit Julia und Judith zum Chinesen zu gehen. Nur zur Erinnerung: Ich hatte ein Arbeitsessen mit den Kollegen heute. PS: Deine Schwester hat angerufen: Eure Mutter ist im Krankenhaus. Bitte zurückrufen! PPS: Ich bin ziemlich sauer.‹
Mist, verdammter, dachte Georg Angermüller, das mit dem Arbeitsessen hab ich total vergessen – genau das sollte mir eigentlich nie wieder passieren.
Um zu Hause anzurufen, in dem kleinen Dorf nicht weit von Schloss Rosenau, wo er geboren war und wo heute noch seine Mutter und eine seiner Schwestern lebten, war es jetzt auch zu spät. Oder doch nicht?
»Hallo, Schorsch, schön, dass du dich meldest!«
Er murmelte etwas von wichtigem Fall und langen Dienstzeiten, doch seine Schwester störte sich nicht an der späten Stunde.
»Ich kann heut sowieso net schlafen. Ma grübelt ja doch immer, was mit ihr is und so.«
»Was ist denn mit der Mutter passiert, Marga?«
»Heut Morgen da war ihr so olber, schwindlig und übel und so. Aber den Doktor rufen durft ich net. Du kennst se ja, wenn se was net will. Ich hab dann halt gsagt, bleib wenigstens im Bett, aber se hört ja immer net.«
Angermüller lauschte der klagenden Stimme seiner ältesten Schwester, die nie aus dem Elternhaus ausgezogen war. Ihr Dialekt fiel ihm heute besonders stark auf, dabei war auch seine Sprache nach all den Jahren im Norden immer noch geprägt von den weichen Lauten seiner oberfränkischen Heimat.
»Als ich dann in meiner Mittagspause mal nach ihr gucken wollt, da lag se in der Küche aufm Boden. Ich hab natürlich en Mordsschreck gekriegt und dann hab ich gleich den Notarzt grufen. Der kam auch ganz schnell und hat se ins Klinikum nach Coburg gebracht.«
Marga arbeitete als Mädchen für alles im Fabrikladen, mittlerweile nannte er sich ›Factory-Outlet‹, eines großen Porzellanherstellers in der Nähe, der vor allem für seine bunten Kinderfigürchen weltbekannt war. Die weiteste Reise ihres bisherigen Lebens hatte sie nach Lübeck zu ihrem Bruder geführt, aber auch nur, weil sie meinte, der Mutter diesen Weg nicht allein zumuten zu können. Dabei war die Mutter die lebenstüchtigere Person.
»Und was hat die Mutter?«
»Sie ham gsagt, des war e Schlägle.«
»Ein was?«
»Nu ja,
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