Stein und Flöte
gestorben war.
Einen Tag später packte Lauscher seine Sachen. Als er am Tag zuvor zum Eselwirt gegangen war, um ihm den Tod des Sanften Flöters zu melden, hatte er auch sein Pferd aus dem Stall geholt, um es mitzunehmen. Zusammen mit dem Eselwirt hatte er dann seinen Großvater unter den drei Ebereschen an der Seite der Großmutter begraben. »Damals, als seine Frau gestorben war, habe ich auch ihm geholfen, die Grube zu schaufeln«, hatte der Eselwirt gesagt, als er den Erdhaufen festklopfte. »Dein Großvater stand ein bißchen ungeduldig daneben und sagte: ›Es wird Zeit, daß Lauscher kommt.‹ Hat er dir das Flöten schon beigebracht?« Lauscher hatte genickt, aber er war sich durchaus nicht sicher gewesen, ob dieser Unterricht ausreichen würde. Bei seinen ersten Versuchen hatte er sich gewundert, wie leicht es ihm fiel, die richtigen Töne zu finden, und er hatte es gar nicht erwarten können, all die Melodien zu spielen, die in seiner Vorstellung bereitlagen. Aber jetzt, während er die Dinge zusammensuchte, die er mitnehmen wollte, wagte er kaum, das Instrument zu berühren. Er wickelte es in ein weiches Wolltuch, das er unter den Sachen der Großmutter gefunden hatte, und steckte es zuunterst in eine der Packtaschen.
Als er darüber nachdachte, was er sonst noch mit auf die Reise nehmen könne, fiel ihm der Vogelbeergeist ein. Ein wärmendes Getränk würde in der herbstlichen Jahreszeit nicht schaden, meinte er, und stieg hinunter in den Keller. Er nahm den Krug vom Regal, und dabei wurde ihm bewußt, daß hier noch etwas stand, das vielleicht des Mitnehmens wert sein könne. Die drei Krüglein mit den seltsamen Aufschriften würden sein Gepäck nicht sonderlich belasten. Er holte sie aus ihrem Versteck und las noch einmal die verblaßten Texte auf den Zetteln. Nun hatte er seinen Großvater doch nicht mehr fragen können, wer diese rätselhaften Worte geschrieben hatte. Jedenfalls sollte man dergleichen nicht in falsche Hände geraten lassen, dachte er, und nahm die Krüglein mit hinauf in die Küche. Dort versenkte er sie in der Tiefe einer seiner beiden Packtaschen und stopfte ein paar Socken und Hemden darüber. Der Vogelbeergeist kam obenauf, denn den hatte man besser rasch bei der Hand.
Es war noch früh am Vormittag, als er das Haus abschloß und sich auf den Weg machte. Zunächst ritt er zum Eselwirtshaus, um dort den Schlüssel abzugeben, denn der Wirt hatte versprochen, von Zeit zu Zeit im Haus des Sanften Flöters nach dem Rechten zu sehen. Außerdem wollte sich Lauscher bei ihm noch mit Vorräten für die Reise versehen. Der Eselwirt hatte reichlich vorgesorgt, so daß Lauscher Mühe hatte, alles in seinen Packtaschen unterzubringen.
»Wohin soll es denn gehen?« fragte der Wirt, als Lauscher sich vor dem Tor verabschiedete.
»Zuerst einmal nach Fraglund zu meinen Eltern«, sagte Lauscher. »Es ist nun bald vier Jahre her, daß ich dort aufgebrochen bin.«
»Da reitest du wohl am besten über Barleboog«, sagte der Eselwirt. »Das ist der kürzeste Weg.«
Daran hatte Lauscher auch schon gedacht, aber es widerstrebte ihm, schon wieder durch die Wälder zu reiten, in denen zwei Grauwölfe hausten, und er war auch nicht begierig darauf, von dem großen Barlo wie ein kleiner Bruder empfangen zu werden. Ehe er ihm gegenübertrat, wollte er wenigstens seiner Kunst als Flöter sicher sein. »So eilig habe ich es nicht«, sagte er also. »Außerdem habe ich keine Lust, so spät im Jahr übers Gebirge zu reiten. Ich nehme den Weg über Draglop. Leb wohl, und grüße mir Jalf!«
Auch diesmal kehrte er in Furros Schmiede ein, und das nicht nur deshalb, weil sich am linken Vorderhuf von Schneefuß das Eisen gelockert hatte. Um genau zu sein: So locker war das Eisen gar nicht. Es war die Erinnerung an Rikkas Augen, die ihn zwang, vor der Schmiede halt zu machen. Und das sagte er Rikka später auch, obgleich er nicht wußte, woher er den Mut dazu nahm.
Lauscher war rasch geritten und langte so schon am frühen Nachmittag bei Furros Haus an. Der Schmied erkannte ihn sofort wieder, besah sich den Schaden mit einigem Zweifel im Blick und sagte: »Wenn du meinst, das Eisen sei locker, dann will ich’s schon wieder festmachen. Aber ich hätte dich auch ohne diesen Auftrag beherbergt, und Rikka wäre dir sicher böse gewesen, wenn sie erfahren hätte, du seist vorbeigeritten. Nimm deine Packtaschen und geh inzwischen ins Haus. Du weißt ja Bescheid. Ich habe hier noch zu tun.«
Lauscher ging durch
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