Stein und Flöte
stets zu einem guten Zweck, darauf kam es wohl in erster Linie an. Und Narzia würde zufrieden mit ihm sein. Daran gab es wohl schon jetzt keinen Zweifel, daß er sein Ziel erreichen würde. Er malte sich gerade aus, wie es sein würde, wenn sein Falkenmädchen ihn zur Begrüßung in die Arme schloß und küßte, als Arnilukka sagte: »Jetzt siehst du wieder fröhlich aus, Lauscher!«
»Das bin ich auch«, sagte Lauscher, doch sobald er sie anschaute, fragte er sich: Bin ich das wirklich? Denn unter dem Blick ihrer Augen erschien ihm auf einmal alles wieder fraglich, was er sich eben zusammengedacht hatte. War dieser Stein, der das Abbild (oder das Urbild?) dieser Augen war, wirklich nur ein totes Stück Quarz? Arnilukka lachte und sagte: »Ein Silberstück für deine Gedanken!«
»Die sind nicht zu verkaufen«, sagte Lauscher und kam sich lächerlich vor, daß ihn ein kleines Mädchen in solche Verwirrung bringen konnte.
»Dann gebe ich dir das Silberstück dafür, daß du mir heute nachmittag auf deiner Flöte vorspielst«, sagte Arnilukka. Lauscher lächelte und sagte, daß sie dies umsonst haben könne, denn es gehöre sich nicht, von so freundlichen Gastgebern Geld anzunehmen.
So kam es, daß Lauscher nach Tisch, als Promezzo schon wieder seinen Geschäften nachging, bei Akka und ihrer Tochter in der Stube sitzenblieb. Zunächst fragte ihn Akka weiter nach den Umständen aus, in denen ihre Schwester lebte, und er mußte ihr Haus in allen Einzelheiten beschreiben, soweit er es in Erinnerung hatte, ihre Stube, ja sogar die Speisen, die sie auf den Tisch brachte; denn Akka wollte alles genau wissen.
Arnilukka fand das nicht besonders unterhaltsam und fragte zwischendurch immer wieder, wann denn nun endlich die Flöte drankäme, bis ihre Mutter schließlich lachend nachgab und Lauscher aufforderte, sein Versprechen einzulösen.
Das Mädchen erwies sich als unersättlich. Lauscher suchte alles zusammen, was er an lustigen und traurigen Liedern, an schaurigen Balladen und leichtfüßigen Tänzen im Gedächtnis hatte, aber Arnilukka konnte nie genug bekommen und nahm die Musik mit all ihren Sinnen auf, sprang ab und zu von ihrem Stuhl auf, um durch die Stube zu tanzen, und war ständig zwischen Lachen und Weinen. Als Lauscher sie einmal nach dem Grund ihrer Tränen fragte, sagte sie: »Weil es so schön ist.« Am liebsten mochte sie das Lied von Schön Agla, und Lauscher erinnerte sich daran, daß ihre Mutter sie ›kleine Wassernixe‹ genannt hatte. Ihm schien, als sei an diesem Kind wirklich etwas Zauberisches, dem man nicht auf den Grund kommen konnte, doch er wagte nicht, nach der Ursache dieser Benennung zu fragen, denn er fürchtete, die Unbefangenheit des Mädchens damit zu zerstören.
Als sich dann auch Promezzo am späten Nachmittag wieder zu ihnen gesellte, spielte Lauscher die Ballade von Arni und Klein Rikka, und Akka sang den Text dazu. Während er zuvor auf Zwischenspiele verzichtet und statt dessen Arnilukka erzählt hatte, wo und unter welchen Umständen ihm dieses oder jenes Lied zu Ohren gekommen war, fügte er jetzt zwischen jede Strophe der Ballade eine kunstvolle Variation, in der er wieder allerlei verlockende Bilder aus der Welt von Arnis Leuten verbarg.
Selbst der nüchterne Erzmeister konnte sich dem Zauber solchen Flötenspiels nicht entziehen, das war offensichtlich. Er saß gespannt vorgebeugt auf seinem Sessel, als verfolge er ein packendes Schauspiel, das sein volles Interesse in Anspruch nahm. Sogar als Lauscher schließlich seine Flöte schon abgesetzt hatte, blickte Promezzo noch eine Zeitlang schweigend und nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er: »Du verstehst dich auf die Kunst, durch dein Spiel neue Gedanken zu wecken. Ich bin dir zu Dank verpflichtet.«
Nach dem Abendessen fing Promezzo noch einmal davon an, daß er Lauscher zu danken habe und fügte hinzu: »Da du in meinem Haus kein Geld nehmen willst, wie es das gute Recht eines Spielmannes wäre, habe ich mir etwas ausgedacht, das dir meine Dankbarkeit in Erinnerung halten soll. Willst du mir über Nacht deine Flöte leihen?«
Lauscher wußte nicht, was er davon halten sollte. Seine Flöte gab er nur ungern aus der Hand, aber seinem Gastgeber konnte er diese Bitte nicht gut abschlagen. Zudem war ja auch nicht anzunehmen, daß Promezzo ihm oder seiner Flöte Schaden zufügen würde.
Bald darauf legte er sich schlafen. Er hatte zuvor sein Pferd und das Gepäck aus der Herberge zum Goldenen Amboß geholt, nachdem
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