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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Wassernixe!«
    Sie griff in die Tasche ihres weiten roten Wollrocks und zog ein Silberkettchen hervor, an dem eine winzige perlmuttfarbene Muschel hing. Arnilukka nahm ihr das Kettchen mit spitzen Fingern vorsichtig aus der Hand und war gleich darauf völlig in die Betrachtung des Farbenspiels versunken, das die Sonne auf die gewölbte Innenfläche der Muschel zauberte. Oder waren die blau, grün und violett irisierenden Lichter in der schimmernden Höhlung nur Spiegelungen ihrer Augen, die den Augen ihrer Mutter glichen, Urlas Augen, in die er in der Hütte jenseits des Passes geblickt hatte? Lauscher stand wie gebannt und schaute dieses Kind an, in dem sich über Generationen hinweg noch immer das Erbe dieser Urahnin bewahrt hatte.
    Auch Akka hatte ihrer Tochter eine Zeitlang zugesehen, doch dann sagte sie: »Du solltest jetzt unseren Gast begrüßen, Arnilukka!« Das Mädchen war so in den Anblick der Muschel gefangen, daß ihr die Mutter die Hand auf die Schulter legen mußte. Da endlich blickte das Mädchen auf und sah Lauscher an. »Wer ist das?« fragte es.
    »Er heißt Lauscher und ist ein Flöter, der viele schöne Lieder weiß«, sagte Akka. »Auch war er zu Gast bei deiner Tante Rikka und soll uns von ihr erzählen.«
    Arnilukka schaute Lauscher in die Augen. Dann lächelte sie plötzlich und sagte: »Ich mag dich, Lauscher. Wirst du mir auf deiner Flöte etwas vorspielen?«
    Die unvermittelte Sympathieerklärung machte Lauscher verlegen. »Gern«, murmelte er und wußte nicht, wo er seine Hände lassen sollte.
    »Dann komm in unser Haus und sei unser Gast!« sagte Arnilukka mit einer Selbstverständlichkeit, als sei sie hier die Herrin. Sie streifte das Silberkettchen über den Kopf und warf noch einen raschen Blick auf die Muschel, die jetzt auf ihrer Brust hing. Dann nahm sie Lauscher bei der Hand und sagte: »Komm!«
    Wenig später saß Lauscher mit Akka und ihrer Tochter in der Stube. Akka hatte ihrem Gast einen Becher Wein angeboten »um die Zeit bis zum Mittagessen zu verkürzen«, wie sie sagte. Lauscher berichtete, wie er Rikka und ihren Mann zuletzt in der Schmiede angetroffen hatte, und erwähnte auch seinen ersten Besuch bei ihnen. »Damals mußte ich deiner Schwester von Arni erzählen«, sagte er.
    »Also hast du auch meinen Vater getroffen?« fragte Akka überrascht.
    »Ja«, sagte Lauscher. »Einmal habe ich ihn gesehen.« Doch im gleichen Augenblick wurde ihm klar, daß er nicht von Arnis Tod erzählen konnte, ohne den Stein zu erwähnen oder von Akka danach gefragt zu werden. Wie sollte er ihr erklären, daß er ihn nicht mehr besaß? Deshalb kam er gleich wieder auf Furros Schmiede zu sprechen und erzählte die Geschichte von dessen Flucht mit dem Eseltreiber aus Barleboog, an der auch Rikka teilgenommen hatte. Akka ließ sich von dieser abenteuerlichen Begebenheit ablenken, und auch Arnilukka lachte ein paarmal, als von dem Wirtshaus die Rede war, in dem Esel aus- und eingingen wie zahlende Gäste. Doch zwischendurch hatte das Mädchen ihn immer wieder einmal nachdenklich angesehen, und als er mit der Erzählung zu Ende war, sagte es: »Vorhin hast du plötzlich so ein trauriges Gesicht gemacht, als hättest du irgend etwas verloren.«
    Lauscher fühlte sich ertappt, und er brachte es auch nicht fertig, dem Mädchen in die Augen zu lügen. »Das kann schon sein«, sagte er vage. »Spielleute sind ständig unterwegs, und dabei kann man mancherlei verlieren.«
    »Wenn du willst, helfe ich dir suchen«, sagte Arnilukka eifrig. »Ich mag nicht, wenn deine Augen so leer aussehen.«
    Wenn Lauscher darauf überhaupt eine Antwort hätte finden können, so wurde er ihrer jedenfalls dadurch enthoben, daß in diesem Augenblick der Erzmeister eintrat, ein mittelgroßer, kräftiger Mann von einigen vierzig Jahren. »Ich sehe, wir haben einen Gast«, sagte er, begrüßte Lauscher und ließ sich von seiner Frau berichten, was es mit diesem jungen Flöter für eine Bewandtnis hatte. »Du bist schon weit herumgekommen für deine Jahre«, sagte er dann zu Lauscher. »Akka wird sich freuen, wenn du noch eine Weile als Gast in unserem Hause bleibst. Du mußt wissen, daß sie eine Vorliebe für geheimnisvolle Geschichten hat, und Spielleute haben ja, wie man sagt, dergleichen immer auf Vorrat.«
    An der Art, in der er das sagte, konnte man merken, daß er von ›geheimnisvollen Geschichten‹ nicht sonderlich viel hielt, ohne daß er seiner Frau ein solches Vergnügen mißgönnt hätte. Dann begrüßte er

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