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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Hufen kommt er nicht herauf zu unserem Nest.«
    Das wird sich zeigen, dachte der Bocksfüßige und packte den untersten Ast, der etwa in Kopfhöhe aus dem Stamm ragte. Vorsichtig zog er sich hinauf und versuchte dabei möglichst wenig Geräusch zu machen, um die Vögel nicht zu verjagen. Es erwies sich tatsächlich als schwierig, mit den glatten Hufen auf dem Ast zu stehen, doch er fand bald heraus, wie er die hornigen Kanten in die Schrunden der Rinde stemmen mußte, um einen festen Halt zu finden. So arbeitete er sich Stück für Stück höher und begann schon nach dem Nest auszuschauen, als er dicht über sich die Elstern wieder sprechen hörte.
    »Steht er noch unten?« fragte die erste.
    »Ich kann ihn nicht sehen«, sagte die andere. »Vielleicht ist er weggegangen.«
    »Dann kannte er nicht den Wert des Glitzerdings«, sagte die erste. »Der Falke hielt es für sehr kostbar.«
    »Was bietet er uns dafür?« fragte die andere.
    »Schutz vor seinesgleichen«, sagte die erste.
    Die andere lachte böse. »Schöne Gerechtigkeit«, sagte sie dann. »Er nimmt uns die Beute ab, und zum Dank dafür ist er so freundlich, uns nicht die Kehle aufzureißen.«
    »Er nannte das Glitzerding sein Eigentum«, sagte die erste.
    »Glaubst du einem Räuber?« fragte die andere.
    »Nein«, sagte die erste, »denn ich bin selber einer.«
    Diese Elster ist klüger als ich es gewesen bin, dachte der Bocksfüßige, schwang sich auf den nächsten Ast hinauf und schrie: »Heraus mit der Beute!«
    Die beiden Vögel flatterten kreischend auf, umkreisten seinen Kopf und versuchten, nach seinen Augen zu hacken, aber er verscheuchte sie mit einer heftigen Armbewegung, griff nach seinem Stein, der schimmernd zwischen allerlei Kram in der Höhlung des Nestes lag, und verwahrte ihn in dem Beutel. »Ihr hattet recht«, sagte er dann zu den Elstern, die sich inzwischen laut schimpfend ein Stück weiter oben in der Baumkrone niedergelassen hatten. »Das Glitzerding gehört mir. Der Falke hatte es mir weggenommen, aber er wird es nicht noch einmal mit seinen Fängen zu packen kriegen. Sagt ihm das, wenn er es heute abend abholen will.«
    »Wir werden uns hüten«, sagte jene Elster, die den Raub ausgeführt hatte. »Er könnte zornig werden. Es lohnt sich nicht, einem Stärkeren schlechte Nachrichten zu überbringen. Bis zum Abend werden wir schon jenseits des Gebirges sein.«
    Damit breiteten die Vögel ihre Schwingen aus und flogen dicht über den Baumwipfeln davon nach Westen. Es sah ihre weißen Schwanzfedern noch ein paarmal aufschimmern, wenn die Elstern in kurzen Bögen aus dem braunen Laub emportauchten, dann verlor er sie aus den Augen.
    Ehe er sich an den Abstieg machte, schaute er sich das Nest an, in dem die Elstern ihre Diebesbeute versteckt hatten. Es war in einer Astgabel dicht am Stamm ziemlich schlampig aus dürren Zweigen aufgehäuft und enthielt noch ein paar weitere Glitzerdinger, die jetzt, nachdem die Vögel ihre Schatzkammer so eilig auf Nimmerwiedersehen verlassen hatten, wohl als herrenloses Gut zu betrachten waren. Neugierig stöberte er in den Sachen herum und entdeckte neben allerlei Knöpfen und Scherben zwei Gegenstände, die sein Interesse weckten. Eins davon war eine abgebrochene Messerklinge. Er betrachtete eine Zeitlang das kleine Stück Stahl und fragte sich, ob er mit dergleichen Sachen noch etwas zu tun haben wolle, doch dann entschied er sich dafür, auch dieses Glitzerding zu dem Stein in den Beutel zu stecken; denn es bestand durchaus die Möglichkeit, daß es sich für einen einsamen Waldgänger als nützlich erweisen könnte.
    Außerdem lag da noch ein flaches, muschelig abgesplittertes Stück Feuerstein, auf dessen glatter Oberfläche sich die Sonne widerspiegelte. Das hatte die Elster wohl gereizt, diesen Gegenstand in ihr Nest zu tragen. Aber dieser Stein warf nicht nur das Licht der Sonne zurück, er trug auch ihre Wärme in sich. Feuer machte man mit Stein und Stahl, dessen erinnerte er sich noch, und beides besaß er jetzt, gerade rechtzeitig vor Einbruch des Winters. Eigentlich sollte er dem Falken dankbar sein, dachte er; denn ohne dessen Habgier wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, zu dem Elsternnest hinaufzuklettern. Er verwahrte auch diesen Fund in seinem Beutel, kletterte wieder hinunter auf den Boden und stellte dabei fest, daß er seine Hufe schon ganz geschickt zu setzen wußte.
    Er trottete durch den Wald hinüber zur anderen Seite der Lichtung, setzte sich wieder in die Sonne und dachte

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