Stein und Flöte
Sachen! Sie sind längst vorbei.«
»Das sind sie nicht«, sagte Steinauge. »Seit ich gehört habe, was dieser Wazzek erzählt hat, weiß ich das. Geh inzwischen voraus! Ich muß noch ein bißchen nachdenken.«
Als Steinauge allein war, nahm er seinen Stock, rammte ihn in die Erde, setzte sich davor und sagte: »Zirbel, ich muß mit dir reden!«
»Hast du wieder einmal eine Ameise gefunden?« fragte der Zirbel.
»Eine Karpfenschuppe«, sagte Steinauge.
»Also ist dir jetzt alles eingefallen, was du vergessen hattest?« fragte der Zirbel.
Steinauge schüttelte den Kopf. »Noch lange nicht alles«, sagte er. »Aber das, woran ich mich erinnere, ist ziemlich unerfreulich«, und er erzählte ohne Beschönigung, wie er die Leute in Arziak hinters Licht geführt und auch in Hunlis Zelt falsch gespielt hatte. »Nur eines kann ich nicht begreifen«, sagte er zum Schluß. »Mit dem Lied, das ich den Pferden vorgespielt habe, glaubte ich wirklich etwas Gutes getan zu haben, und das scheint nun von alledem das Schlimmste gewesen zu sein. Ich habe sie damit samt und sonders umgebracht, ums Haar auch noch diesen Wazzek. Ich fange an, mich zu fragen, was dieses Lied sonst noch für Folgen haben könnte.«
»Ein bißchen spät kommt dir diese Ahnung«, sagte der Zirbel. »Du denkst wohl nie weiter als bis zum nächsten Morgen und fragst dabei nur, was bei alledem für dich nützlich sein könnte.«
»Jetzt bist du ungerecht«, sagte Steinauge. »Die Sache mit den Pferden war für jeden nützlich, den die Beutereiter während dieser Zeit hätten angreifen wollen. War das kein gutes Werk?«
»Insoweit schon«, sagte der Zirbel, »nur nicht für die Horde selbst und schon gar nicht für Wazzek und die armen Pferde. An dem, was ihnen zugestoßen ist, trägst du die Schuld, und auch an allem, was daraus noch weiter entstehen mag.«
Steinauge dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ist das eine Schuld, wenn Böses aus dem erwächst, was man gut gemeint hat?«
»Nur gut meinen reicht nie aus«, sagte der Zirbel, »solange man nicht daran denkt, was die Zeit aus dem machen könnte, was man in dieser guten Meinung tut.«
»Dann tut man am besten gar nichts mehr«, sagte Steinauge erbittert. »Woher soll ich wissen, was daraus entstehen könnte, wenn ich einen abgenagten Kaninchenknochen hinter mich ins Gebüsch werfe? Es könnte ja einer kommen, ihn sich in den Fuß treten und an Blutvergiftung sterben. Man könnte nicht einmal den kleinen Finger krümmen, ohne in Schuld zu fallen. Steif und starr müßte man stehenbleiben und kein Glied mehr rühren.«
»Genau das habe ich ein Leben lang getan«, sagte der Zirbel. »Aber ich sehe jetzt auch, daß dies für Menschen unmöglich ist. Ihr seid so geartet, daß ihr euch ständig mit irgend etwas tätig beschäftigen müßt, statt die Zeit zu bedenken. Kein Wunder, daß ihr die Welt ständig durcheinanderbringt.«
»Du hast gut reden«, sagte Steinauge. »Solange du dort oben auf dem Joch gestanden hast, konntest du freilich nichts durcheinanderbringen.«
»Dafür bin ich auch sehr dankbar, nachdem ich gehört habe, was du mit dieser Flöte alles angestellt hast«, sagte der Zirbel. »Aber was noch wichtiger ist: Ich wußte die ganze Zeit über, wozu ich dort stand – eigentlich sollte ich sagen: Wozu ich dort hingestellt worden war. Das genügte mir vollauf. Aber du hast offenbar gar keine Zeit dazu, darüber nachzudenken, was dieses ständige Herumrennen für einen Sinn haben soll. Oder kannst du mir das sagen?«
»Natürlich«, sagte Steinauge und fing an nachzudenken. Er war sicher, daß sich diese einfache Frage beantworten ließ, aber je mehr er darüber nachdachte, desto schwieriger erschien es ihm, eine klare Antwort darauf zu geben.
»Nun?« sagte der Zirbel.
Steinauge zuckte mit den Schultern. »So einfach läßt sich das nicht sagen«, meinte er.
»Ausflüchte!« sagte der Zirbel. »Du weißt es eben nicht.«
»Manchmal glaubte ich es schon zu wissen«, sagte Steinauge. »Als Arni mir seinen Stein gegeben hatte, wollte ich nach dem Geheimnis dieses Steins suchen, und einige Male schien es mir schon sehr nahe zu sein. Aber das war stets ein Irrtum, und jetzt meine ich eher, daß ich mich immer weiter davon entfernt habe, wenn es dieses Ziel überhaupt gibt.«
»Vielleicht läuft dieses Geheimnis vor dir davon, weil du zu viel an dich selber denkst«, sagte der Zirbel.
»So wie das Mädchen schon zweimal vor mir davongelaufen ist?« fragte Steinauge.
»Genau
Weitere Kostenlose Bücher