Stein und Flöte
strahlenförmig auf ein reich gegliedertes großes Gebäude zu, ein Schloß mit schön geschwungenen, volutengezierten Giebeln, Freitreppen und Balkonen, Türmchen und blinkenden Fensterreihen.
Auf einer Balustrade, die zu beiden Seiten der Einfahrt den Wassergraben des Schlosses vom Garten trennte, standen aufgereiht die Figuren grämlich dreinblickender Zwerge mit derart unförmig großen Köpfen, daß man den Eindruck gewann, einer ganzen Sippe von Riesen seien unversehens die Glieder zu solcher Mißgestalt zusammengeschrumpft.
Überall auf den Wegen spazierten sonderbar gekleidete Leute, die anscheinend keinen Geschäften nachgingen, sondern nur hie und da stehenblieben, um eine Figur zu betrachten oder die Blumen zu bewundern. Die Männer trugen ungewöhnlich lange Hosen, die locker bis auf die Schuhe herabfielen; ihre Jacken hatten sie nicht zugeknöpft, offenbar um den Blick auf ein schmales, aus buntem Stoff gewebtes Halstuch freizugeben, dessen Zipfel vorn herabhingen. Manche von ihnen trugen an einem Lederriemen ein kleines, blitzendes Gerät bei sich, das sie zuweilen ans Auge hoben und auf eine der Figuren oder auch auf das Schloß richteten, als könnten sie auf diese Weise das alles besser anschauen. Wenn die Männer ihre Beine bedeckt hatten, so waren die Kleider der Frauen so kurz, daß man ihre Beine fast herauf bis zum Knie sehen konnte, und selbst ältere Matronen schämten sich nicht, sich auf solche Art zur Schau zu stellen. Zwischen diesen langsam dahinschlendernden Leuten rannten Kinder über die Wege und kümmerten sich wenig um all die Sehenswürdigkeiten, sondern spielten Nachlaufen und Fangen, wie es Kinder auch sonst überall tun. Nur die Kleinsten, die noch nicht laufen konnten, wurden von ihren Müttern in hochrädrigen Wagen vor sich her geschoben.
Als jetzt dieser heisere Schrei wieder herüberschrillte, war es nicht schwer, das Tier zu entdecken, das so mißtönend kreischte. Auf dem Sockel einer der Steinfiguren saß ein großer Vogel, dessen Schweif bis zum Boden herabhing und am Ende mit großen Augen besetzt war, die blau, grün und violett schillerten. Die lockende Kraft dieser Augen, es mußten mehr als ein Dutzend sein, war so stark, daß ihm darüber der winzige, auf einem schlanken Hals sitzende Kopf des Vogels fast entgangen wäre, wenn dieser nicht ein wippendes Krönchen aus zierlichen Federn getragen hätte.
Doch dann fiel sein Blick auf die Figur, zu deren Füßen der Vogel saß, und er meinte, sich selbst zu erblicken, wie er auf dem Felsen über dem Quellteich stand; denn diese Figur war das genaue Ebenbild des bocksfüßigen Fauns, der er selbst war. Er stand am Rand eines Brunnenbeckens, in dessen Mitte eine Fontäne in die Höhe schoß, und auf der gegenüberliegenden Seite stand auf einem ähnlichen Podest die Gestalt einer zauberisch schönen, nackten Frau, die dem zottigen Faun die schlanken Arme entgegenstreckte, als wolle sie ihm geradewegs durch die sprühende Gischt entgegenlaufen, und auch der Bocksfüßige hatte seine klobigen Hufe schon zum Sprung in die schäumende Flut auf den Boden gestemmt. Habe ich nun endlich die geheime Mitte des Gartens wiedergefunden? dachte er und wußte nicht recht, woher ihm diese Vorstellung kam, die wie aus einem vergessenen Traum in seiner Erinnerung aufgeblitzt war.
Während er noch darüber nachgrübelte, flatterte der Vogel ins Gebüsch und eine alte Frau kam über den Weg heran, die ein kleines Mädchen an der Hand führte. Sie ging an dem Faun vorüber und setzte sich auf eine Bank, die seitwärts neben dem Becken stand. Das Mädchen lief rings um die Brunnenanlage und betrachtete die beiden Statuen. Besonders die ungefüge Gestalt des Fauns hatte es dem Kind angetan; denn es kletterte sogar auf den Sockel und strich vorsichtig mit der Hand über das zottelnde Fell auf den Hüften. Die alte Frau sah dem Mädchen lächelnd zu und ließ es gewähren. Schließlich sprang das Mädchen wieder von dem Sockel hinunter auf den Kies und setzte sich neben die alte Frau. »Was ist das für ein komischer Mann, Großmutter?« fragte es. »Er hat Beine wie ein großer Ziegenbock, und oben ist er ein Mensch. Er sieht aus, als wolle er gleich zu der Frau hinüberlaufen, die dort drüben im Springbrunnen baden möchte.«
»Er möchte wirklich zu ihr hinüber«, sagte die alte Frau, »aber er ist ein neugieriger Bursche, der immer gleich alles haben will, was er sieht, und so kommt ihm einiges dazwischen, bis er die scheinbar so
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