Stein und Flöte
und er fragte sich, ob er den Lohn für seinen Mißbrauch schon erhalten hatte oder ob das, was ihm widerfahren war, erst der Anfang noch schlimmerer Erfahrungen gewesen sei. Erst jetzt fiel ihm auf, daß die Flöte ihre Vergoldung verloren hatte, unter der dieser Spruch unlesbar gewesen war, und ihm schien fast, als sei dies ein Grund zur Hoffnung.
Über dieser Beschäftigung mit seiner Flöte hatte er völlig vergessen, nach Arnilukka Ausschau zu halten, und so war sie schon ganz nahe, als er den gedämpften Hufschlag ihres Pferdes hörte. Sie ritt rasch heran, ließ sich aus dem Sattel gleiten und hob einen Packen vom Pferd.
»Zieh dir erst einmal etwas an!« sagte sie. »Ich kümmere mich inzwischen um das Frühstück.« Sie warf ihm ein Bündel Kleider zu und machte sich daran, Brot aufzuschneiden, stellte einen Topf mit Honig ins Gras und wickelte einen Laib Schafskäse aus einem feuchten Lappen, während er sich mit einer engen Leinenhose abmühte und ein Hemd über den Kopf zog. Arnilukka sah ihm lachend zu und sagte: »Nun siehst du schon aus, als wärst du nie ein Faun gewesen. Aber ich weiß es besser. Sei mein Gast! Setz dich zu mir und laß dir’s schmecken!«
Während er mit ihr aß, dachte er daran, wie ihn Urla mit fast den gleichen Worten an ihren Tisch geladen hatte, aber er sagte nichts darüber, denn er wußte nicht, wie er das Arnilukka hätte erklären sollen. So schwieg er lieber, blickte nur hie und da auf und freute sich an den anmutigen Bewegungen ihrer Hände.
Als er satt war, und Arnilukka, die wie er mit gutem Appetit gegessen hatte, die Reste des Frühstücks in einen Korb sammelte, sagte er: »Wie kommt es, daß die Flöte ihre Vergoldung verloren hat, die dein Vater hat auflegen lassen?«
»Sie lag im Feuer«, sagte Arnilukka, »und in der Glut ist die Vergoldung abgesprungen und vergangen. Aber dieses Feuer hat deiner Flöte nichts anhaben können.«
»Wo hast du sie gefunden?« fragte er.
»Dort, wo das Feuer gebrannt hat«, sagte sie.
»Wann war das?« fragte er.
»Vor neun Jahren«, sagte sie. »Bei Arnis Leuten, als der große Reitersturm über das Dorf gekommen war.«
»Durch meine Schuld«, sagte Lauscher. »Mir graut vor dieser Erinnerung, aber ich muß jetzt erfahren, was damals und seither geschehen ist. Willst du es mir erzählen?«
»Ja«, sagte Arnilukka. »Komm zu mir und leg deinen Kopf in meinen Schoß. Das ist eine lange Geschichte, und man kann sie besser ertragen, wenn man die Wärme eines lebendigen Menschen spürt.
Es begann damit, daß ich im Herbst vor dem Jahr, in dem das alles geschah, mit meinem Vater über die Berge hinüber zu der Ansiedlung von Arnis Leuten ritt. Was mein Vater für Geschäfte mit Narzia zu verhandeln hatte, wußte ich nicht, aber ich hatte gehört, daß sie ihn mit freundlichen Worten aufgefordert hatte, auch seine Tochter mitzubringen, die, wie sie erfahren habe, immer so gern bei Arnis Hütte gewesen sei. Erst hatte mein Vater allein reiten wollen, aber ich hatte so lange gebettelt, bis er nachgab; denn ich wollte endlich einmal die weite Steppe wiedersehen. Ich weiß noch, wie ich vor Freude laut aufgeschrien habe, als wir hinter einem Felsband hervorkamen und unter uns die grauflimmernde Ebene sich bis zum fernen Horizont ausbreitete. An dieser Stelle blieb ich lange stehen und konnte mich nicht satt sehen. Schließlich drängte mein Vater zur Eile, weil die Sonne schon tief im Westen über den Berggipfeln stand, und so kamen wir am Abend gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit zu den Häusern.
Mein Vater ritt mit mir in den Hof von Narzias Haus. Als wir abstiegen, kam ein Knecht und wollte unsere Pferde übernehmen, aber mein Vater sagte zu mir, ich solle mit dem Mann zu den Ställen gehen, während er im Haus mit Narzia zu sprechen habe. Ich nahm also mein Pony selbst am Halfter und folgte dem Knecht, der das Pferd meines Vaters zu den Stallungen führte. Dort rieben wir die Tiere ab, und der Knecht schüttete ihnen Hafer vor. Dann ging er mit mir durch den Stall und zeigte mir Narzias Pferde. Besonders stolz war er auf einen schwarzen, hochbeinigen Hengst aus der Zucht von Falkenor, und es gab auch schon fünf Fohlen, die von ihm abstammten.
Als wir noch bei den Fohlen standen, kam ein Mann in den Stall und sagte zu mir, ich solle ins Haus kommen, die Herrin wolle mich sehen. Da ging ich mit ihm, und er führte mich in eine große Stube, in der mein Vater und Narzia an einem Tisch einander gegenübersaßen. Sie
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