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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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zurückblickte, und er wußte, daß es nun immer so bleiben würde. Wo sie sich auch aufhielten, einer von ihnen beiden würde immer Angst haben.
    Schließlich kam Arnilukka zu ihm zurück. In ihren Augen standen Tränen, als sie ihn so hilflos am Boden liegen sah. »Komm!« sagte sie. »Steh auf! Wir werden schon eine Lösung finden. Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben. Wir gehen jetzt am Waldrand entlang das Tal hinunter bis zu den Hirtenhäusern, ich im Gras und du zwischen den Büschen. Wir werden einander so nahe sein, daß wir uns jederzeit bei der Hand fassen können.«
    Sie rief ihr Pferd, und dann machten sie sich auf den Weg. Manchmal hielten sie einander bei der Hand, bis eine Haselstaude oder ein Hartriegelbusch sie trennte, und wenn sie sich nach wenigen Schritten wieder trafen, fielen sie einander lachend in die Arme, als hätten sie einander seit Wochen nicht gesehen. Arnilukka schien das für ein lustiges Spiel zu halten, und Lauscher ließ sich von ihrer Fröhlichkeit anstecken, doch zugleich traf ihn jede dieser Trennungen wie ein scharfer Schnitt, und es erschien ihm fast wie ein Wunder, daß Arnilukka tatsächlich wieder hinter dem Buschwerk auftauchte und ihm vergnügt ihre Hand hinstreckte.
    So gelangten sie allmählich und unter mancherlei Aufenthalten weiter hinunter ins Tal, bis die Hirtenhäuser vor ihnen lagen, hinter denen weiter talabwärts Pferde weideten. Als sie einen Pfad kreuzten, der von den Ställen herüber zu einer Blockhütte führte, die ein paar Dutzend Schritte weiter im Wald zwischen den hohen Fichtenstämmen zu sehen war, blieb Arnilukka stehen und sagte: »Jetzt müssen wir uns wirklich trennen; denn ich habe schon begriffen, daß du nicht über die Weide hinüber zu den Häusern gehen kannst. Du wirst einstweilen drüben in der Holzfällerhütte wohnen müssen, aber besuchen werde ich dich dort nicht können. Ich werde dir Wazzek mit ein paar Sachen für die Nacht herüberschicken. Morgen früh warte ich hier am Waldrand auf dich.«
    Sie umarmten einander, als gälte es einen Abschied fürs Leben, und hätten wohl noch Stunden an dieser Stelle gestanden, wenn nicht das Pferd geschnaubt und am Zügel gezerrt hätte. »Meine Stute möchte in den Stall«, sagte Arnilukka. Sie gab Lauscher noch einen Kuß, schwang sich in den Sattel und ritt in raschem Trab zu den Häusern.
    Er schaute ihr nach, bis sie hinter den Stallungen verschwand, dann ging er langsam in den Wald hinein auf die Blockhütte zu. Die Tür war nicht verschlossen, und er gelangte durch einen schmalen Windfang in eine niedrige Stube, in der es nach dem Rauch unzähliger Holzfeuer roch, die auf der gemauerten Feuerstelle gebrannt hatten. Die Wand dahinter war mit Schieferplatten belegt, die das Gebälk vor der Hitze schützen sollten und bis unter die Decke rauchgeschwärzt waren. In der Mitte des Raumes stand ein stabiler Tisch mit ein paar Schemeln, dann gab es an der Wand noch ein Regal mit Pfannen und allerlei Küchengeräten, eine Truhe und eine breite Schlafpritsche, auf der mehrere Männer Platz finden konnten.
    Lauscher holte von einem Holzstapel, den er draußen vor der Tür gesehen hatte, einen Arm voll Scheiter, schnitt ein paar Späne und schlug Feuer mit Stein und Stahl. Sobald sich die Flammen knackend durch das Holz fraßen, fühlte er sich schon heimisch in der Hütte. Der Rauch sammelte sich unter der Decke und zog nach oben durch eine Öffnung ab. Lauscher setzte sich ans Feuer und schaute zu, wie die Flammen über das helle Holz huschten, bis es sich rasch dunkler färbte und Risse aufsprangen, deren Kanten rot aufglühten. Es war ein sonderbares Gefühl, nach all den Jahren, die er im Freien verbracht hatte, wieder in einem geschlossenen Raum zu sitzen. Selbst ein Feuer brannte hier anders als draußen, wo jeder Luftzug die Flammen zur Seite blies. Er versuchte sich vorzustellen, welchen Verlauf sein Leben künftig nehmen würde, aber es wollte ihm nicht gelingen, irgendeinen Plan ins Auge zu fassen – alles blieb unscharf und vage. Er fühlte sich wie auf unvertrautem Gelände, wo man nicht recht weiß, welchen Weg man einschlagen soll.
    So saß er noch und sinnierte ziellos vor sich hin, als er die äußere Tür klappen hörte, und gleich darauf trat Wazzek in die Stube. Der alte Karpfenkopf hatte sich in den vergangenen Jahren nur wenig verändert, nur daß seine schlohweißen Haare jetzt noch dünner geworden waren und seine Augen noch heller und wäßriger. Er trug ein Bündel bei

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