Stein und Flöte
sich, das er auf die Schlafpritsche legte, ehe er sich Lauscher zuwandte. »Ich dachte mir schon, daß du es bist, Flöter«, sagte er, »auch wenn Arnilukkas Auskünfte etwas spärlich waren, als sie mich zu dir herausschickte. Es ist lange her, seit wir uns bei der Pferdekoppel Khan Hunlis zuletzt gesehen haben.«
»Mir ist schon zu Ohren gekommen, daß du meinetwegen viel zu leiden gehabt hast, Wazzek«, sagte Lauscher. »Kannst du mir verzeihen, daß ich damals so unüberlegt gehandelt habe? Ich hatte es gut gemeint, aber die Folgen nicht bedacht.« Er stand auf und ging ein paar Schritte auf den Alten zu, der eben Wolldecken auf der Schlafpritsche ausgebreitet hatte und nun ein paar Vorräte hinüber zu dem Regal trug, Flachbrote und ein Stück Speck, einen Schlauch mit Wein und ein paar andere Lebensmittel. Wazzek ordnete das alles sorgfältig auf den Wandborden, ehe er sich umwandte und Lauscher lächelnd anschaute. »Das weiß ich doch«, sagte er. »Und ich bin dir auch nicht böse.« Er reichte ihm seine Hand, hielt sie lange fest und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Damals warst du ja noch fast ein Junge«, sagte er dann, »und außerdem ist das alles schon lange vorbei.«
Lauscher lud ihn ein, sich für eine Weile zu ihm ans Feuer zu setzen, und als der Alte sich bereitwillig einen Schemel herüberzog und sich rittlings darauf hockte, nahm Lauscher zwei Becher aus dem Regal, goß Wein ein und setzte sich zu ihm.
»Ich habe dich später doch noch einmal gesehen«, sagte er, »nur hast du mich nicht bemerkt«, und er erzählte ihm, wie er zum Zeugen seiner Ankunft im Flachtal geworden war.
»Deshalb also hast du dich nicht gewundert, mich hier wiederzusehen«, sagte Wazzek. »Das war eine schlimme Zeit, und ich hatte solche Angst, daß ich mich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen hätte.«
»Und ich war schuld daran, daß man dich so zugerichtet hatte«, sagte Lauscher.
»Schuld?« sagte Wazzek und schüttelte langsam den Kopf. »Wer hat Schuld an solchen Vorkommnissen? Ich will dir einmal aufzählen, wer alles Schuld gehabt haben könnte an dem großen Reitersturm vor neun Jahren. Da waren zuerst einmal die Beutereiter, die seit eh und je die Menschen am Rand der Steppe überfallen, ausgeraubt und in die Sklaverei geschleppt haben, wie seinerzeit auch mich und meine Leute am Braunen Fluß. Die Reiter wußten es nicht anders, weil die Horde seit Menschengedenken so gelebt hatte. Und wir nahmen das hin wie ein böses Unwetter, gegen das man sich nicht wehren kann. Ist es unsere Schuld, daß wir keinen Widerstand geleistet haben, und sei es nur, um den Reitern das Unrecht bewußt zu machen, das sie uns zufügten? Dann kam Arni und zeigte ein paar Leuten, die ihn nicht für völlig verrückt hielten, daß man auch anders leben könne. Und als er gestorben war, versuchten andere es ihm gleichzutun, wobei ich nicht darüber sprechen will, ob sie ihn richtig verstanden hatten. Anfangs mag es sogar ein Mann wie Höni ehrlich gemeint haben, obgleich er auch noch andre Gründe gehabt haben mag. Doch dann merkte er bald, daß auch auf solche Weise Macht zu gewinnen war, und seine Tochter hat ihn darin wohl noch bei weitem übertroffen. Aber angefangen hat diese Geschichte von Arnis Leuten doch bei Arni selbst. Ist er darum vielleicht schuld an allem, was daraus entstand? Und dann kamst schließlich noch du mit dieser gloriosen Idee, den Beutereitern ihre Pferde zu verderben; und heute meinst du nun, du seist an allem schuld. Damals, als ich deinen Zaubertrick entdeckte, erschien auch mir dieser Einfall gar nicht so übel, allerdings nur so lange, bis es mir selber an den Kragen ging. Vielleicht bin ich auch ein bißchen schuld, weil ich dich nicht daran gehindert habe, den Pferden dieses Lied vorzuflöten. Khan Hunli war jedenfalls dieser Meinung, und er hatte wohl nicht einmal ganz unrecht damit, denn ich wußte ja, daß er dir verboten hatte, deine Flöte im Lager der Horde zu spielen. Auf seine Weise hatte er durchaus eine Vorstellung davon, was selbst ein Beutereiter nicht tun darf, und so hat er sich trotz aller Demütigungen, die er von Narzia erfuhr, Zeit seines Lebens geweigert, etwas gegen jene Leute zu unternehmen, die sich nach seinem Bruder nannten; denn er hatte vor Urla geschworen, Arni in Frieden zu lassen. Aber er starb im Winter vor dem großen Reitersturm, genauer gesagt, es traf ihn der Schlag in einem Anfall von Wut über Narzias Hochmut, und sein ältester Sohn Husski, der nach ihm
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