Stein und Flöte
der bei ihm geblieben war, hatte sich schon an die Arbeit gemacht. Er benagte die dünnen Erlenstämme ringsum so geschickt, daß sie zu einem schattenspendenden Schutzdach über Boleg zusammenstürzten, und grub vom Ufer her eine Rinne bis zu Bolegs Kopf, so daß dieser trinken konnte. Mehr konnte der Biber für ihn nicht tun. So vergingen Tage und Nächte, die Boleg nicht zählte, bis der andere Biber mit einem Mistelzweig zwischen den Zähnen zurückkehrte. Kaum schmeckte Boleg das säuerliche Fleisch der Beere auf der Zunge, als er schon spürte, wie die Kräfte in seinen Körper zurückkehrten und seine Wunden vom einen zum anderen Augenblick heilten. Er bedankte sich bei den Bibern, schwamm an Land und machte sich am Ufer entlang auf den Heimweg.
Oleg hatte mittlerweile seine Arbeit wieder aufgenommen und fuhr schon am Tag nach seiner Rückkehr zum Fischfang hinaus auf den Fluß. Er warf seine Angeln aus, ließ ein Netz ins Wasser und legte sich dann ins Boot, um noch ein bißchen Schlaf nachzuholen. Während er so vor sich hindämmerte, hörte er, wie etwas heranschwamm und sich an seinem Boot zu schaffen machte. Er war so schläfrig, daß er kaum die Augen öffnen konnte, sah aber doch, daß für einen Augenblick ein dunkelpelziges Gesicht mit runden Augen über die Bordwand lugte, aber er war zu faul, um aufzustehen und nachzusehen. Ein neugieriger Fischotter könnte das gewesen sein, dachte er noch, und da hörte er, wie draußen im Wasser jemand sagte: ›Ist das nicht Oleg, der unseren Vetter auf der Elfeninsel hat sterben lassen?‹ – ›Ja, das ist er‹, sagte eine andere Stimme. ›Und er soll hier keinen Fisch mehr fangen.‹ Schon im nächsten Augenblick spürte Oleg, wie an seinem Netz geruckt wurde, und sah, wie seine Angelfäden zuckten. Er richtete sich mit einem Fluch auf, doch er zog nur noch ein zerrissenes Netz und abgebissene Angelschnüre ins Boot. Und so ging es ihm nun Tag für Tag, obwohl er sich mit einem Knüttel versah, um es den Ottern heimzuzahlen. Von irgendwoher aus der Tiefe schossen sie plötzlich heran und hatten, ehe er sich’s versah, das immer aufs neue geflickte Netz und die Angelschnüre unbrauchbar gemacht.
Das ging so eine Weile, bis der Vater eines Abends zu Oleg sagte: ›Du hast in letzter Zeit wenig Glück beim Fischen.‹
›Die Fischotter rauben mir den Fang‹, sagte Oleg, ›aber ich werde ihnen schon das Handwerk legen.‹
An diesem Abend kam Boleg nach Hause, abgerissen, schmutzig und ohne Boot. Der Vater schloß ihn in die Arme und sagte: ›Daß du nur wieder da bist! Wo bist du gewesen?‹ Boleg schaute seinen Bruder an und sagte dann: ›Ich bin in die Stromschnellen geraten und habe mein Boot verloren.‹
›Siehst du, Vater‹, sagte Oleg, ›ich hab’s dir ja gesagt: Er ist flußabwärts geraten und hat sich nicht gegen die Strömung halten können. Einem tüchtigen Ruderer wäre das nicht passiert.‹
Boleg wollte ihm die gehörige Antwort geben und erzählen, wie er dort hingekommen war, aber als er sah, daß sein Vater noch von der eben überstandenen Krankheit gezeichnet war, schwieg er, um ihm diese Aufregung zu ersparen.
›Es kann nicht jeder auf die gleiche Weise tüchtig sein‹, sagte der Vater. ›Da wir nun nur noch dieses eine Boot haben, wird also Oleg künftig weiter auf Fischfang fahren. Und du, Boleg, wirst Pfeil und Bogen nehmen und den Ottern auflauern, die ihm den Fang stehlen.‹
Nun war Boleg in eine schwierige Lage geraten. Er wußte sehr wohl, warum die Fischotter es auf Oleg abgesehen hatten, und erinnerte sich auch, wie zornig die Elfenkönigin über den Tod dieses einen Tieres gewesen war. Andererseits waren er und sein Vater auf Olegs Fang angewiesen. Schon jetzt waren kaum noch Vorräte im Haus, und über kurz oder lang würden sie hungern müssen.
So saß er eines Tages bekümmert am Fluß, als zwei Fischotter heranschwammen, ans Ufer sprangen und sich dort im Spiel miteinander balgten wie zwei junge Katzen. Er freute sich an der Gewandtheit der Tiere und sagte nach einer Weile: ›Eigentlich sollte ich euch abschießen!‹
Da blickte ihn einer der Otter an und sagte: ›Warum willst du das tun, wo du doch dem Biber auf der Elfeninsel geholfen hast?‹
›Ich will es ja gar nicht!‹ sagte Boleg, ›aber ich werde es tun müssen, wenn ihr meinem Bruder weiterhin den Fang verderbt.‹
›Das hat er sich selber zuzuschreiben‹, sagte der Otter.
›Ich weiß‹, sagte Boleg, ›aber wenn ihr dies noch länger
Weitere Kostenlose Bücher