Stein und Flöte
kann. Darüber gibt’s bei uns eine Menge Geschichten, aber dazu ist jetzt keine Zeit. Wir haben uns schon lange genug aufgehalten. Wenn ihr abends noch da seid, sollt ihr eine zu hören bekommen. Ihr habt ja gesagt, daß ihr auf dergleichen aus seid.«
Barlo gab zu verstehen, daß er sich so etwas nicht entgehen lassen würde.
»Laßt eure Tiere nicht allein«, sagte der Vorarbeiter noch. »Der Bärtige könnte hier irgendwo herumschleichen. Und haltet schön Abstand, wenn ihr unsere Äxte klingen hört. Sonst fällt euch womöglich ein Bäumchen auf den Kopf, und das könnte unserem Spielmann die Sprache verschlagen.« Er blickte Barlo prüfend an, und als dieser lachte, lachte auch er und ging seinen Leuten nach.
Barlo und Lauscher sattelten ihre Tiere und ritten bergauf durch den Wald. Je höher sie kamen, desto häufiger lagen riesige Felsbrocken zwischen den flechtenbehangenen Stämmen. Dann begann der Wald sich zu lichten, und sie gelangten auf eine Bergwiese, die sanft anstieg bis zu einer Felszinne, die den Gipfel des Berges bildete. Während sie über die Blütenpolster des sonnenwarmen Hanges ritten, wölkte der Duft von wildem Thymian und Salbei hoch. Bei dem Felsbrocken stiegen sie ab und ließen die Tiere grasen. Barlo begann den Felsen hinaufzuklettern, und Lauscher stieg ihm nach. Schließlich kamen sie auf den Gipfel, und hier öffnete sich ein weiter Rundblick. Nach Norden sah man über Wogen abfallende Wälder bis hinaus in die Ebene. In der Ferne blinkte die Schleife eines Flusses und an seinen Ufern lag aufgereiht Dorf für Dorf. Hinter den Bergen im Südwesten mußte irgendwo das Tal von Barleboog verborgen sein.
Das war die Richtung, in die Barlo blickte, als er sich auf eine Felsplatte setzte, seine Flöte hervorholte und zu spielen anfing. Wieder einmal war es das Schloß von Barleboog, das sich aus den Tönen der Melodie aufbaute, und Barlos Lied sprach deutlich davon, daß er es kaum erwarten konnte, an diesen Ort zurückzukehren. Und wieder einmal wunderte sich Lauscher darüber, daß in dieser Flötenmelodie kaum etwas von Zorn oder gar Rachedurst zu spüren war.
Während Barlo noch spielte, hörte Lauscher weiter unten am Berg Steine poltern. Er blickte hinunter in die Felsrinne, in der sie aufgestiegen waren, und sah einen kleinen alten Mann heraufklettern. Nach kurzer Zeit stemmte sich der weißbärtige Alte über die letzte Felskante und setzte sich erschöpft auf einen Steinblock. Er trug das Gewand eines Steinsuchers, hatte einen Lederbeutel umgehängt und an der Seite seinen spitzen Hammer. Sobald er wieder zu Atem gekommen war, begrüßte er Barlo und Lauscher und sagte: »Man nennt mich Lauro, den Steinsucher. Ich wollte doch sehen, wer hier oben so schön auf der Flöte bläst.« Dann blickte er zu den Bergen hinüber, zu denen auch Barlo schaute, und sagte: »Ja, dort drüben liegt Barleboog. Und wenn du dich danach sehnst, dorthin zu kommen, dann bist du offenbar lange Zeit nicht dort gewesen. Jedenfalls würde ich dir raten, deine Sehnsucht zu bezwingen und hübsch hier zu bleiben, denn dort würdest du nicht lange frei herumlaufen.«
»Was weißt du denn von Barleboog?« fragte Lauscher. »Bist du dort gewesen?«
»Ja«, sagte Lauro, »und das ist noch gar nicht lange her.« Barlo setzte seine Flöte ab und wendete sich ihm zu. »Das interessiert dich wohl?« fuhr der Alte fort. »Dann hör gut zu, damit dir die Lust vergeht. Ich bin mit knapper Mühe davongekommen.« Er kicherte in sich hinein. »Die Bergpfade kenne ich immer noch besser als diese zottigen Knechte der bösen Herrin. Steinsucher sind dort derzeit gefragt, müßt ihr wissen. Allerdings nur, wenn sie nicht auf eigene Rechnung arbeiten.«
»Hat Gisa noch immer nicht genug von ihren blauen Steinen?« fragte Lauscher.
Der Alte warf ihm einen scharfen Blick zu. »Du weißt ja ziemlich genau Bescheid«, sagte er. »Aber das neueste weißt du scheint’s nicht. Seit einiger Zeit kann sie nämlich diese blauen Dinger nicht mehr ausstehen. Sie ist jetzt hinter einem anderen Stein her, aber den hat ihr bisher noch keiner auftreiben können.«
»Was für einen Stein?« fragte Lauscher gespannt.
»Wenn ich das wüßte«, sagte Lauro. »Sie kann ihn offenbar selber nicht genau beschreiben. Die Leute erzählen sich darüber eine merkwürdige Geschichte. Sie soll sich einen Jungen eingefangen haben, der einen solchen Stein besaß. Einen Zauberstein, sagt man. Aber damals wußte sie noch nicht, was es mit diesem
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