Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
die hart umrissenen Schatten.
    »Nun?« sagte Arios scharf. »Das sind doch Menschen, nicht?« »Und?« meinte Militor. »Leute, die später hier eingedrungen sind. Sie haben gesehen, wie leicht es war, die Tür aufzustoßen. Sie sind aus der Wüste gekommen, um in den Ruinen zu leben.«
    »Vielleicht doch nicht. Nachkommen der Erbauer, würde ich sagen. Vielleicht ist die Stadt nie wirklich aufgegeben worden.« Arios sah Scarp an. »Sind Sie nicht auch der Meinung?«
    »Sie könnten alles mögliche sein«, meinte Scarp. »Unterschlupfsuchende, Nachkommen, sogar synthetische Wesen, sogar Diener ohne Herren, die weiterleben und warten, weiterleben und warten –«
    »Oder Projektionen alter Maschinen«, sagte Militor. »Keine Menschenhand hat diese Stadt erbaut.«
    Arios schnaubte verächtlich. Sie gingen schnell über den Platz und betraten die erste der breiten Straßen. Die Gebäude an ihr waren verschlossen. Sie gingen weiter zu einer großen Kreuzung, wo sie stehenblieben, um eine offene, kreisrunde Grube zu betrachten, fünf Meter Durchmesser, glattrandig, in unendliche Dunkelheit hinabstürzend. Breckenridge hatte in seiner Vision der vorigen Nacht viele solcher dunklen Schächte gesehen. Er zweifelte jetzt nicht daran, daß er seinen schlafenden Körper verlassen und gestern nacht wirklich einen Ausflug in die Stadt unternommen hatte.
    Scarp leuchtete in den Schacht hinunter. An einer Wandung war eine kupferfarbene Metalleiter zu sehen.
    »Steigen wir hinunter?« fragte Breckenridge.
    »Später«, sagte Scarp.
    Der berühmte Anthropologe hatte während des Abendessens unaufhörlich getrunken – Wein, nur Wein, aber viel davon –, und seine Augen wirkten glasig, sein Gesicht gerötet; trotzdem sprach er weiterhin mit großer Klarheit und eleganter Geschliffenheit, kaum Atem schöpfend, um seine Argumente aufzubauen. Vielleicht zitierte er nur nach dem Gedächtnis aus seinem neuesten Buch, dachte Breckenridge, während er sich bemühte, dem Fluß der Gedanken zu folgen.
    »– ein Vergleich zwischen dem Mythos und dem, was in den modernen Gesellschaften in erster Linie an seine Stelle getreten zu sein scheint, nämlich die Politik. Wenn der Historiker die Französische Revolution erwähnt, dann stets als Folge vergangener Ereignisse, eine nicht umkehrbare Serie von Ereignissen, deren ferne Folgen in der Gegenwart noch spürbar sein mögen. Aber für den französischen Politiker, wie für seine Anhänger, ist die Französische Revolution sowohl ein Ablauf, welcher der Vergangenheit angehört – wie für den Historiker – als auch ein fortwährendes Muster, das in der gegenwärtigen französischen Gesellschaftsstruktur wahrgenommen werden kann, und das einen Hinweis auf ihre Interpretation bietet, einen Fingerzeig, mit dem künftige Entwicklungen erkannt werden können. Man denke etwa an Michelet, der ein politisch gesinnter Historiker war. Er beschreibt die Französische Revolution so: ›An diesem Tag… war alles möglich… Zukunft wurde Gegenwart… das heißt, nicht mehr Zeit, ein Blick in die Ewigkeit.‹« Der große Mann griff entschlossen nach dem nächsten Glas Rotwein. Seine Hand schwankte; das Glas fiel um; ein dunkelroter Strom ergoß sich über das Tischtuch. Breckenridge erlebte einen plötzlichen, erschreckenden Augenblick völliger Desorientierung, so als tauschten Wände und Decke die Plätze; er sah ein ausgedörrtes Wüstenplateau, vier Kapuzengestalten, einen gleißenden Himmel fremdartiger Konstellationen, ein pulsierendes Nordlicht, das die Himmelsweiten mit kaltem Feuer erfüllte. Eine mächtige ummauerte Stadt beherrschte die Ebene, und ihr eisiger Schatten, messerklingenscharf, zerschnitt Breckenridges Weg. Er schauderte. Die Frau rechts neben Breckenridge lachte leise und begann vorzutragen: ›lch hab’ die Ewigkeit in jener Nacht geseh’n, als großen Ring aus endlos-reinem Licht erstehen, so ruhevoll wie hell ersteh’n;
    darunter ringsherum die Zeit in Stunden, Tagen, Jahren getrieben von den Sphären,
    als einen ries’gen Schatten fahren, in den die Welt mit einem Stoß
    hineingeschleudert wurde, Welt und Troß.‹
    »Entschuldigen Sie«, sagte Breckenridge, »ich glaube, mir ist nicht gut.« Er stürzte aus dem Speisesaal. Im Flur schlug er die Richtung zum Waschraum ein und sah sich in einen dampfenden tropischen Sumpf starren, ganz Farn und Schachtelhalm und Rieseninsekten. Libellen von Taubengröße schwirrten an ihm vorbei. Der glatte Rumpf eines Brontosauriers erhob

Weitere Kostenlose Bücher