Steine der Macht 2 - Die Zeitkorridore im Untersberg
1943 zu Ende. Dann müsste sich dieser Soldat also jetzt im Jahre 1943 befinden.
Nichts wäre leichter gewesen, als den Burschen mit ins Gasthaus zu nehmen und ihm ein ordentliches Mahl servieren zu lassen. Vermutlich wäre der Mann dann für immer aus seiner Zeit herausgerissen worden. Nein, es gab da noch eine andere Möglichkeit.
Linda öffnete ihren kleinen Rucksack, nahm die vier Stück Schokoladeriegel, welche sie als Proviant dabeihatte, sowie ihre Trinkflasche heraus und gab sie dem jungen Mann. »Hier, nehmen Sie.«
Dem Burschen schmeckten die Riegel offenbar sehr gut, außerdem hatte er wahrscheinlich schon länger nichts mehr gegessen.
»Ich wollte mich bei einem Bauernhof unten in der Ebene verstecken. Die Leute dort waren sehr hilfsbereit und haben mir Zivilkleidung und auch etwas zu essen gegeben, aber beherbergen konnten sie mich nicht. Das wäre für sie zu gefährlich gewesen. Immer wieder gibt es in dieser Gegend Hausdurchsuchungen durch die Gestapo. Jetzt denken offenbar viele Soldaten so wie ich. Deshalb habe ich mich hier in diesem unwegsamen Wald versteckt. Die Tochter vom Bauern kommt alle paar Tage und bringt mir etwas zu essen. Ich weiß aber nicht, wie ich den Winter hier im Wald überstehen soll. Man sieht doch dann überall die Spuren im Schnee und die Kälte im Freien kann doch niemand überleben.« Der Bursche machte einen verzweifelten Eindruck.
Wolf überlegte einen Moment und plötzlich fiel ihm ein, dass in genau einer Woche Vollmond sein würde. Ein Vollmond, so wie er damals beim Verschwinden der neun Illuminaten in der Höhle auch war. Er hatte einen Plan.
»Ich glaube, ich kann Ihnen helfen«, sagte er zu dem jungen Mann, »ersuchen Sie die Tochter vom Bauern, wenn sie das nächste Mal kommt, um einen Laib Brot und eine Flasche Wasser, das wird Ihnen für die Zeit bis nach dem Krieg reichen. Ich werde Ihnen jetzt genau erklären, wohin Sie gehen und was Sie tun müssen.«
Der Deserteur schien jetzt gar nichts mehr zu begreifen. »Was soll das heißen? Woher möchten Sie wissen, wann der Krieg zu Ende sein wird? Und weshalb sollte mir bis dahin ein Laib Brot reichen?«
»Hören Sie mir gut zu, der Krieg wird noch eine Weile dauern, genauer gesagt, bis Anfang Mai 1945. Um die Zeit bis dahin gefahrlos zu überbrücken, müssen Sie zu einer Höhle gehen, welche sich zirka zweihundert Meter über einem Brunnen befindet, der direkt an der kleinen Straße im Untersbergwald liegt. Gehen Sie diesen Bachlauf entlang, dann kommen Sie zu einer Brücke, von dort sind es noch drei Kilometer bis zum Brunnen, direkt am Weg. Sie können ihn nicht verfehlen. Unmittelbar davor steigen Sie den Wald empor, bis Sie nach etwa zweihundert Metern zu einem sehr großen Felsblock gelangen. Rechts davon ist ein schmaler Durchstieg und danach sehen Sie schon die Höhle. Sie ist nicht tief. Sie wurde schon vor Hunderten von Jahren als geheimer Unterschlupf genutzt. Sie müssen sich dort drinnen ganz nahe an die Felswand setzen und zwei Tage und zwei Nächte ausharren, dann ist der Krieg vorbei, wenn Sie wieder herunterkommen. Bleiben Sie sicherheitshalber einige Stunden länger drinnen. Und vergessen Sie nicht, Sie müssen genau heute in einer Woche am Abend bei der Höhle sein.«
»Wie können Sie so etwas behaupten? Wer sind Sie überhaupt? Wie soll ich über zwei Jahre in einer Höhle am Untersberg verbringen?«
»Sie werden, wie ich bereits gesagt habe, nur zwei Tage in dieser Höhle bleiben müssen, und in dieser Zeit vergehen in der Außenwelt zwei Jahre, aber das soll Sie jetzt nicht verwirren. Tun Sie es einfach. Und was uns betrifft: Wir sind aus einer für Sie fernen Zukunft, auch das soll Sie nicht verunsichern. Wir beide waren noch gar nicht geboren, als der Krieg zu Ende war. Ich kann Ihnen nur sagen, dass diese besondere Höhle eine sichere Möglichkeit für Sie ist, den Krieg zu überleben. Sie werden zwar von Ihren Angehörigen für die nächsten zwei Jahre für tot gehalten werden, dafür haben Sie dann, wenn Sie wieder herauskommen, nichts mehr zu befürchten. Dann gibt es keine Gestapo und auch keine SS mehr«, Wolf schaute schmunzelnd mit einem Seitenblick zu Linda, »zumindest nicht mehr in der Öffentlichkeit. Wir erforschen seit vielen Jahren ein Zeitphänomen, welches sich an diesem Berg immer wieder spontan ereignet. Ihr Zusammentreffen mit uns, an dieser Stelle, ist auch auf so etwas zurückzuführen. Hier befindet sich vermutlich eine sogenannte Zeitfalte. Machen Sie sich
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