Steine der Macht - Band 5
verbracht hatten.
Schon damals widerfuhr ihm so ein seltsames Erlebnis, als er in den Ruinen einer Römersiedlung eine ausgegrabene Tonscherbe mit beiden Händen hielt. Er schloss dabei für kurze Zeit seine Augen und sah in Gedanken die aufgewühlte See vor sich und ein römisches Schiff, welches auf ein Riff zwischen den vorgelagerten Inseln von Medulin auflief. Das Schiff war voll beladen mit Amphoren und sank binnen kürzester Zeit.
Wolf glaubte, einen Tagtraum gehabt zu haben, und erzählte sogleich seinem Freund davon. Dieser meinte, sie könnten ja mit dem Faltboot von Wolfs Vater hinaus zu diesem Riff paddeln und mit ihren Taucherbrillen am Grund des dort recht seichten Meeres nachsehen, ob da noch Überreste aus der Römerzeit wären.
So geschah es dann auch am nächsten Tag. Die beiden fuhren zu den nur bei Ebbe herausragenden Felsen und verankerten dort das kleine Boot. Das Meer war an dieser Stelle nur maximal drei Meter tief und hatte zwischen den Felsriffen einen sandigen Boden. Sie schnorchelten kaum eine halbe Stunde lang herum, da sah Wolf den Kopf einer Amphore ein kleines Stückchen aus dem Sand herausragen. Das Ausgraben gestaltete sich etwas langwierig, da immer wieder Luft geholt werden musste, um dann jedes Mal nur einige Handvoll Sand wegzuschaufeln. Auch sein Freund hatte schon bald einen Amphorenkopf aus dem hellen Sand herausgebuddelt. Die beiden holten sich im Eifer ihrer Suche einen anständigen Sonnenbrand, denn sie blieben an diesem Tag bis zum Abend draußen am Riff, wobei sich die Ausbeute sehen lassen konnte. An die zehn Stück Amphorenköpfe mit zwei Griffen und auch einige Oberteile von zerbrochen Tonkrügen samt Henkel hatten sie vom Meeresgrund heraufgeholt.
In den Jahren danach gesellten sich dann noch fast vollständig erhaltene, schön bemalte Schüsseln und verzierte, tönerne Köpfe von Öllichtern dazu, welche sie ebenfalls im Meer direkt vor den Ruinen der versunkenen römischen Siedlung fanden. Dies alles füllte schon damals, in Wolfs Jugend, ein ganzes Regal in der elterlichen Wohnung. Die römischen Funde in Kroatien bildeten sozusagen den Grundstein zu Wolfs Leidenschaft für antike Sachen.
Er musste sich von seinen Gedanken an diese Zeit losreißen. Er wollte doch die Bronzefigur herausnehmen. Diese stand seit Jahren still und einsam auf ihrem roten Steinsockel neben den römischen Fundstücken.
Was würde geschehen, wenn er diese Statue mit beiden Händen halten würde? Sollte er da auch die Augen schließen und abwarten?
Er trug das Erbstück vom Großvater hinunter ins Esszimmer. Wolf wollte abwarten und erst am Abend den Versuch starten.
Als die Sonne untergegangen war, setzte er sich an den großen Tisch und nahm die Statue in beide Hände. Wolf schloss seine Augen und wartete ab. Zuerst zogen nur Bilder der letzten Stunden vor seinem geistigen Auge vorüber, bis sich ganz plötzlich eine dunkle Wand von der Seite her ins Bild schob. Dann folgte ein heller Blitz, der jedoch nicht verblasste. Danach wurde das Bild deutlicher und er sah wie aus großer Höhe den Kehlstein mit Hitlers Adlerhorst und auch den gesamten Obersalzberg. Dieser Blitz schien ganz oben, dort, wo Wolf einst das riesige steinerne Ypsilon gesehen hatte, seinen Ausgangspunkt zu haben und reichte über das Tal hinüber bis zu den Felswänden des Untersberges im Bereich der Mittagsscharte. Es leuchteten rote Punkte auf der Linie des Blitzes auf. Offenbar handelte es sich dabei um die Orte auf der Y-Linie, ausgehend vom Fuße des steinernen Ypsilons, durch das unterirdische Gewölbe N2, weiter durch den Berghof und über die Kirche von Ettenberg bis hinauf zur Mittagsscharte am Untersberg. Dann aber geschah etwas Seltsames. Vom roten Punkt, der den Berghof markieren musste, gingen zwei blau leuchtende Strahlen jeweils nach links und nach rechts, deren Endpunkte sich irgendwo in den Wäldern des Obersalzberges befinden mussten. Diese Endpunkte leuchteten gelb auf. Einer der gelben Punkte könnte eventuell den unterirdischen Kuppelraum „N3“ markieren, dachte Wolf, denn der würde sich ungefähr in dieser Gegend befinden. Was der gegenüberliegende gelbe Punkt zu bedeuten hatte, wusste er nicht. Wolf versuchte, so gut es ging, sich die Stelle dieses Punktes einzuprägen. Sollte das eben Geschaute nicht nur eine Einbildung sein, dann könnte er dort vielleicht etwas entdecken. Rasch schaltete er seinen PC ein und markierte auf Google Earth die Stelle, an welcher dieser ominöse zweite
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