Steinfest, Heinrich
bedienen?"
"Vielleicht, jedenfalls hat man sich früher erzählt,
was man mit einer Dragunow alles Tolles anstellen kann. Als sie dann aber zu
uns auf den Markt kam, haben die Freaks gestaunt, wie wenig sie mit dem Ding
getroffen haben. Woran immer das liegt, es ist so. Wenn Sie also was Russisches
wollen, müssen Sie runter in den ersten Stock gehen."
Tobik unterließ die Bemerkung, es handle sich bei diesem
Haus offensichtlich um ein Einkaufscenter für illegale Waffen. - Was ja nicht
zu überraschen brauchte: überall Konzentration, überall Verdichtung, je größer
die Welt wurde, desto mehr schrumpfte sie.
"Die AWC", beschrieb Sami das von ihm angebotene
Modell, "ist eigentlich ein ideales Wintergewehr, aber Sie wollen
wahrscheinlich ohnedies nicht in einen Wüstenkrieg ziehen, oder? Im Ernst, man
kann auch im Sommer gut damit arbeiten. Das Ding ist stabil, und es ist leicht,
Sie überheben sich nicht, es fliegt Ihnen aber ebensowenig davon. Alles
zusammen haben Sie sechs Kilo, das ist ein Baby, allerdings kein Embryo. Es
steht auf zwei Beinen und verfügt über einen 16-Zoll-Lauf plus Schalldämpfer,
Kaliber .308 Win, Unterschallmunition. Die offizielle Reichweite liegt bei
dreihundert Metern, wobei die Frage stets lautet: Wer ist der Schütze, und wie
ist das Wetter? Und ob das Karnickel herumtanzt oder ob es Salzsäule spielt.
Ich könnte Ihnen auch eine AW50 anbieten, da treffen Sie ein Hasenohr noch auf
zweitausend Meter, aber das Gerät hat fünfzehn Kilo. Eine Waffe für Soldaten,
die sich stundenlang wo eingraben und davon träumen, einen Weitenrekord
aufzustellen. Haben Sie das vor?"
"Eigentlich nicht", meinte Tobik und wollte
wissen, ob er die AWC jetzt gleich zu Gesicht bekommen könne. Er verspürte eine
gewisse Aufregung, die nicht der Situation, sondern tatsächlich dem Objekt zu
verdanken war. Obwohl er bei der Bundeswehr gewesen war, konnte er sich nicht
mehr an den Anblick eines Gewehrs erinnern. Eines Gewehrs in natura. Ihm
schien, als geschehe etwas Erstmaliges, eine Begegnung.
Sami hatte sein Handy aus der Tasche gezogen, wählte eine
Nummer und sprach nun etwas auf türkisch. Er redete schnell, nähmaschinenartig.
Dann erklärte er: "Zehn Minuten", ging hinüber zu seiner Anlage und
bediente den CD-Player. Eine Musik erklang, elektronische Töne, ungeordnet,
haltlos, kleine und große Splitter, bevor diese Töne sich dann versteiften,
verklumpten und ein Rapgesang einsetzte, aneinandergereihte Fragmente, wobei
Tobik nicht hätte sagen können, in welcher Sprache hier eigentlich sprechend
gesungen und gereimt wurde. Erst als ihm bewußt wurde, daß die Melodie, die
dem Ganzen zugrunde lag, auf der gleichzeitig symphonischen wie psychedelischen
Ouvertüre zur Serie Raumschiff Enterprise basierte,
kam ihm die Idee, daß es sich bei dem Text dieser Hip-Hop-Version eines Fernsehklassikers
um Klingonisch handeln mußte. Nicht, weil er diese Sprache so gut in Erinnerung
hatte, aber es war eine logische Folgerung, und sie traf ja auch zu.
"Wie finden Sie das?" fragte Sami, und gab
gleich selbst die Antwort: "Geiles Stück!" Woraufhin er weiter
erläuterte, daß die Musik von einer jungen Gruppe stamme, die sein Cousin in
München manage. Sie hätten sich darauf spezialisiert, Filmmusik zu covern. "Ohne
Gewalt", sagte Sami, "die verstümmeln die alten Dinger nicht, die ganzen
Hitchcocksachen, die Russen mit ihrer Panzerkreuzer-Musik, die Deutschen mit
ihren Krimiintros. Die Jungs schlachten nicht, arbeiten ohne Messer, ganz fein.
Machen noch Karriere."
Nun, auch Tobik, der zudem in idealer Position zu den
Lautsprechern stand, fand das recht interessant. Man hörte sich ein paar Nummern
an. Nach der Enterprise-Bearbeitung folgte die in einem - vom Klingonischen
zuvor nur schwer unterscheidbaren - Wienerisch gehaltene Interpretation des Dritten
Manns und sodann Morricones Todeslied, wobei ein Italienisch
von sentimentaler Dehnung zur Anwendung kam. - Diese Jungs hatten es mit der
Sprache. Nicht ungenial!
Als der Sonnenbrillenmann eintrat und einen handlichen
Koffer auf den Tisch stellte, unterbrach Sami die Musik. Er gehörte offensichtlich
zu denen, die nur entweder im Leben oder in der Kunst standen, aber die
Untermalung des einen durch das andere ablehnten. Er gab seinem Domestiken ein
Zeichen, und dieser verschwand. Dann legte er den Koffer flach hin, öffnete das
Schloß und hob die obere Seite an.
Voilà! Da ruhten sie, die einzelnen Teile, eingefügt in
die maßgeschneiderten
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