Steinhauer, Franziska
Unbeschriebenen mehr!“
Ein leises Raunen ging durch den Raum, schwoll kurz an und ging dann sofort wieder in gespannte Stille über. Mario und Julian spürten die Blicke der anderen in ihrem Rücken wie Dolche. Sie knieten nieder.
„Erwachet im majestätischen Licht grenzenlosen Wissens und betretet die Wälder Arkadiens, wo all eure Unwahrheit zu toter Borke wird und abfällt von eurem Stamm. Wo eure bewussten und unbewussten vergeblichen Heucheleien eure Körper und euren Geist nicht länger umhüllen.
Werft ab eure weißen Roben der Lügen und stellt euch dem Prinzen der Nacht so unverhüllt, wie dereinst euer Leben begann, unbedeckt und ohne Scham. Möget ihr erneut euren ersten Atemzug tun, jetzt, da die frischen Nachtwinde wehen aus dem fernen Reich des Belial.“
Langsam schälten sich die Täuflinge aus ihren weißen Gewändern und standen nackt vor Nocturnus und der versammelten Anhängerschaft Satans. Ein Flüstern erfüllte den Raum, als die Kinder Lucifers Marios geschundenen Körper sahen. Die Täuflinge nahmen auf Schemeln Platz, die für sie bereitstanden, und Phobius führte eine schwarze Kerze vier Mal unter ihren Füßen hindurch.
„Durch die schwarze Flamme Satans wandelt ihr in der Hölle. Eure Sinne werden erweckt für die Freude der Wiedergeburt. Weit offen sind die Tore, und euer Eintritt wird verkündet von den unsterblichen Rufen seiner wachenden Bestien. Sein Brandmal wird sich in Ewigkeit in euer Bewusstsein einbrennen: Seine flammende Bedeutung macht euch frei.“
Nocturnus machte eine preisende Geste und streute etwas Weihrauch auf die glühenden Kohlen.
Danach erfolgte die Salbung mit Erde und Meerwasser. „Erhebet euch und hüllet euch in den Mantel der Dunkelheit, in dem alle Geheimnisse ruhen.“
Die Getauften erhoben sich und nahmen ihre schwarzen Roben aus Nocturnus’ Hand entgegen.
Mit angemessenem Respekt schlüpften sie hinein. Danach trat der Priester an Mario und Julian heran und legte ihnen das Baphomet um den Hals.
„Ich lege euch das Baphomet an und besiegele damit eure ewige Verbundenheit zu Satan, dem Herrn des von euch gewählten Reichs, und eure uneingeschränkte Treue zu der wunderbaren Ordnung seiner Schöpfung.“
Er legte ihnen ein Messer in die Hand.
Mario ritzte sich damit eine blutende Wunde in den Zeigefinger der linken Hand. Phobius reichte ihm eine Glasfeder und einen Vertrag. Mario tunkte die Feder ohne zu zögern in sein Blut und unterzeichnete damit den Kontrakt mit Satan. Julian tat es ihm nach.
„So schwöret denn den Eid!“
Sie hoben ihre Linke zum Zeichen des Gehörnten.
„Ihr werdet euch fortan weigern, euch zu verleugnen.
Stattdessen werdet ihr die Freuden und Schmerzen eurer einzigartigen Existenz billigen. Ihr kehrtet vom Tod in das Leben zurück und habt eure Freundschaft mit Lucifer, dem Herrn des Lichts, erklärt, der erhaben ist wie Satan selbst. Als Siegel für dieses Band erhieltet ihr das Baphomet. Von nun an wird es euer ständiger Begleiter sein. Ihr habt diese höllische Verpflichtung aus freiem Willen uneingeschränkt übernommen: Dieser Akt wurde vollzogen ohne Zwang, auf euren Wunsch und freien Willen hin!“
Nocturnus wandte sich an die versammelten Satansanhänger. „Nehmet diese beiden Eingeweihten in eure Mitte auf! Heil Satan!“
„Heil Satan!“, antworteten die Getauften.
„Heil Satan!“, bestätigte die Gemeinde.
Nocturnus läutete die Glocke und löschte die Flamme der schwarzen Kerze.
„Es ist vollbracht!“, verkündete er abschließend.
30
„Pass doch auf!“ Wütend drehte sich Berta um und schlug nach Annemarie, die ihr geduckt nachgeschlichen und in der Dunkelheit mit ihr zusammengestoßen war. „Sie werden uns noch bemerken und als Opfer für ihr Ritual hernehmen!“
„Meinst du?“, hauchte Annemarie ängstlich zurück und blieb entsetzt stehen. Als ihr jedoch einfiel, dass von ihnen beiden nur Berta als Jungfrau für eine Zeremonie infrage kam, entspannte sie sich wieder etwas.
„Los, nun komm schon!“ Berta packte die Hand ihrer Begleiterin unsanft und zerrte die Widerstrebende weiter. „Wenn wir rauskriegen wollen, was da vor sich geht, müssen wir näher ran!“
„Aber nicht zu nah!“, forderte die Bäuerin. „Ich habe schließlich Familie!“
Worauf Berta nur ein trockenes „Ha!“ ausstieß.
Jakob Gumper stand in Heikos Zimmer und starrte mit dem Fernglas in die Dunkelheit der Neumondnacht. Zu erkennen war auf die Entfernung nur wenig. Offensichtlich waren die
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