Steinhauer, Franziska
erlangen. Wer zu wenig geleistet hat, muss warten. Ich erkläre euch nun, wie ihr schnell und ohne Verzögerung Aufnahme finden werdet. Wer als Verteidiger des Herrn der Finsternis im Kampf mit den Bigotten seinLeben lässt, zieht ohne Aufschub ein. Wer auf einen Schlag so viele Seelen von ihren Körpern befreit, dass Zerberus sie nicht mit einem Blick zählen kann, der erhält sofort Einlass. Wer weniger spektakulär, aber fleißig und regelmäßig für Satan sorgt, darf ebenfalls hinein. Wer jedoch zweifelt, zögert und sich dem Kampf mit denen, die sich Christen nennen, entzieht, wird erst sehr spät, gar nicht oder erst nach langen, schmerzvollen Prüfungen eingelassen.“
Nocturnus sah den beiden fest ins Gesicht.
„Seht zu, dass ihr den kurzen Weg nehmt!“
Gebannt hörten sie ihm weiter zu.
„Wer nicht bereit ist, das Leben zu genießen, wird den Höllenhund nicht davon überzeugen können, dass er für das Reich des Fürsten der Finsternis geschaffen ist.“
Julian und Mario schauten sich enthusiastisch an. „Aber der Fürst erwartet für seine Sorge um euer Wohlergehen eine Gegenleistung. Er bietet euch schließlich sein Haus als Wohnung an, verköstigt euch, kleidet euch ein und wird auch sonst euren Wünschen gegenüber mit Aufgeschlossenheit reagieren. Seid ihr dazu bereit?“
Den Freunden entging der lauernde Unterton in Nocturnus’ Stimme.
Sie nickten eifrig.
„So sei es! Ihr werdet Aufgaben zugewiesen bekommen, die ihr zu bewältigen, aber nicht infrage zu stellen habt. Seid ihr auch dazu bereit?“
„Ja!“, antworteten sie wie aus einem Munde. Nocturnus reichte jedem ein weißes Gewand.
„Diese Gewänder werdet ihr heute Nacht zur Taufzeremonie tragen. Sonst nichts!“
„Gar nichts?“, fragte Julian entgeistert.
„Gar nichts. Ihr setzt die Kapuze auf. Im Verlauf derTaufe bekommt ihr eure schwarzen Gewänder, die ihr von nun an zu allen Zeremonien im Tempel zu tragen habt. Ihr werdet alles tun, was ich euch sage, und kein einziges Mal zögern! Wenn ich euch sage, ziehet die weißen Gewänder aus – dann tut ihr das. Danach werdet ihr die schwarzen überstreifen.“
„Wir sind nackt?“
„Ja, für einen kurzen Moment werdet ihr wieder so sein, wie ihr erschaffen wurdet.“
Mario und Julian blickten ihn ungläubig an. Doch die Miene des Priesters blieb unbewegt. Offensichtlich war seine Anweisung ernst gemeint.
„Zieht jetzt die Gewänder an und geht hinüber. Phobius kommt in wenigen Minuten nach. Er erklärt euch den Ablauf und sagt euch, wann ihr den Tempel betreten sollt. Noch Fragen?“
Die beiden schüttelten die Köpfe.
„Alles andere wisst ihr ja schon. Wenn irgendwelche Fragen oder Probleme euch beschäftigen, wendet euch an Phobius. Er wird euch weiterhelfen. Wenn es nicht in seiner Macht steht, wird er mir euer Anliegen vortragen, und ich werde eine Lösung mit Unterstützung unseres Herrn finden.“
Damit waren sie entlassen.
„Manuel, ich muss dich kurz sprechen.“
Robert war unerwartet im Flur aufgetaucht.
Den warnenden Blick, den Phobius ihm zuwarf, bemerkte er nicht, oder er war leichtsinnig genug, ihn zu ignorieren.
Nocturnus blieb abrupt stehen.
Er wandte sich um und sah Robert durchdringend an.
Der bemerkte den Schimmer von Verachtung, mit dem ihn Nocturnus stets bedachte, durchaus – aber er sah auch ein boshaftes Glimmen in seinen Augen. Nun, dachte Robert gleichgültig, wahrscheinlich ist das Hass.
„Knie nieder!“, polterte der Hohepriester, und Robert kam der Aufforderung nach.
Zaudernd.
„Was willst du?“
„Diese Babyleiche am Rhein – war das unser Baby? Und was ist aus Betti geworden?“
„Das geht dich nichts an, Robert!“ Ein geringschätziges Lächeln verzerrte Nocturnus’ Gesicht zu einer Fratze. Mühsam rief sich der Sektenführer ins Gedächtnis, dass Roberts Fähigkeiten nicht im intellektuellen Bereich lagen. Er hatte andere Qualitäten.
„War es unser Mädchen? Unser Geschenk?“, insistierte Robert, und Nocturnus legte seine Linke auf die ihm flehentlich entgegengereckten Hände des jungen Mannes.
„Ich verstehe deinen Schmerz. Aber der Herr der Finsternis wünscht sich einen Sohn! Einen, den er zu seinem würdigen Vertreter auf Erden formen kann. Beim nächsten Mal vielleicht.“
In Roberts Augen standen Tränen.
Sanft neigte der Hohepriester seinen Kopf zur Seite, und ein fast milder Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.
Das plötzliche Knacken überraschte alle – auch Robert. Ein durchdringender
Weitere Kostenlose Bücher