Steinhauer, Franziska
Quelle außerhalb des Bildes lag. Hinter dem Kreuz kauerte ein Engel mit reinweißen, weit ausgebreiteten Flügeln. Schützend hielt er seine Hände über das blumengeschmückte Grab, den schmerzvollen Blick auf die Stelle gerichtet, auf der das getötete Tier lag. Der Blick des Betrachters fiel, wenn er das Schaf genauer betrachtete, auf eine Gestalt, die hinter einem Baum stand und hämisch grinsend beobachtete, was nun passieren würde. Ihre schwarzen Flügel waren gespreizt, als würde sie sich sogleich in die Lüfte schwingen.
Mendetti sah zu, wie Clemens Steier mit wenigen schwarzen Linien mehr Tiefe in seine Zeichnung brachte, und hatte plötzlich das Gefühl, der Engel mit den schwarzen Flügeln schaue auch ihn voller Hass an.
„Der ganze Ort ist in Aufruhr.“ Die Stimme des Künstlers war rau.
„Ja, und dieser grausige Fund wird nicht gerade zur Beruhigung der Gemüter beitragen“, bestätigte Mendetti.
„Nein, kaum. Aber noch haben sie sich auf keine Stoßrichtung geeinigt. Gumper und seine Kinder sind auch in der Diskussion. Es wird Ärger geben.“
„Sieht ganz danach aus.“ Mendetti wies auf die Zeichnung. „Dein schwarzer Engel hat kein religiöses Opfer gebracht.“
„Nein.“
„Du glaubst, es geschah aus persönlichen Motiven.
Hass? Rache? Aber wer sollte Rosa gehasst haben?“
„Ich glaube nur noch an die Kunst. Die Menschen sind mir zu verlogen“, antwortete der Maler und spuckte auf den Weg. „Um Rosa ging es dabei ganz sicher nicht!“
Nachdenklich schlenderte Mendetti zum Ultnerhof. Er hatte nun immerhin einen guten Grund, den Kindern Lucifers einen offiziellen Besuch abzustatten.
„Herr Pfarrer!“, hielt ihn eine flehende Frauenstimme zurück, als er gerade die Kirche betreten wollte. Widerstrebend verhielt er seinen Schritt.
„Ja?“
„Herr Pfarrer, diese Teufelsanbeter, wie gefährlich sind die wirklich?“, fragte Sofie Buchwald mit angstvoll aufgerissenen Augen.
„Nun, was soll ich sagen? Es erscheint mir angebracht, einen gewissen Abstand zu ihnen zu halten“, gab der Seelsorger vorsichtig zurück.
„Ja, das denken wir auch. Aber ich meine das Böse, Herr Pfarrer. Kann das Böse, das sie beschwören, auf unseren Hof– überspringen? Werden Menschen von diesem Bösen infiziert, wenn sie mit den Satanisten sprechen?“
„Euer Hof liegt doch gar nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zur Sekte. Ich glaube wirklich nicht, dass ihr gefährdet seid. Wie kommst du denn darauf?“
Die Buchwaldbäuerin begann am ganzen Körper zu zittern, und Pfarrer Weißgerber erkannte, dass den Fragen eine echte und tiefe Besorgnis zugrunde liegen musste.
„Ach“, jammerte sie, „einer dieser jungen Männer hat meine Anna nach Hause begleitet. Schöngetan hat er ihr. Dabei haben überall, wo sie an den Gehöften vorbeikamen, die Hunde geknurrt und angeschlagen. Bis zum Hoftor ist er gekommen. Dort hat ihn mein Mann gestellt und fortgejagt. Aber das Böse, verstehen Sie, das Böse könnte doch so auf unseren Hof gelangt sein. Oder?“ Ihre Stimme bebte.
„Tja“, der Pfarrer wand sich. „Ich glaube nicht, dass ihr beunruhigt sein müsst.“ Er spürte, dass die besorgte Mutter mit dieser Antwort nicht zufrieden war. „Aber wenn du das Gefühl hast, etwas sei nicht in Ordnung, so will ich gerne bei dir vorbeikommen und deinen Hof segnen. So wird es uns gewiss gelingen, den Einfluss Satans zu bannen.“
Sie strahlte. „Danke, Hochwürden. Das wäre tatsächlich eine Erleichterung für uns!“
„Nun denn. Ich werde am Nachmittag zu euch kommen.“
Die Buchwaldbäuerin verbeugte sich leicht und huschte davon.
Pfarrer Weißgerber trat in die Stille der Kirche.
Vor dem Altar kniete er nieder und sah zum Kruzifix empor.
Ganz in seine Zwiesprache mit Gott vertieft, bemerkte er nicht, dass noch jemand hereingekommen war.
Erschrocken fuhr er herum, als eine schleppende Stimme ihn ansprach.
„Hochwürden, wie soll es denn nun weitergehen? Susanne wird sich von dem neuen Schock nur sehr schwer erholen.“
„Rainer!“, ächzte Pfarrer Weißgerber und bekreuzigte sich hastig. Dann erhob er sich mühsam. „Was soll ich deiner Meinung nach denn tun?“
„Das Grab meiner Tochter wurde geschändet!“
„Ja. Das ist unbestreitbar. Rosas Ruhe wurde aufs Verwerflichste gestört.“
„Sie sollten ein Zeichen setzten! Denen dort am Berg zeigen, dass wir uns zu wehren wissen! Derjenige, der das Schaf getötet hat, muss sehen, dass wir uns von seiner Tat nicht lähmen
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