Steinhauer, Franziska
Tal und traf dort neue Freunde, mit denen er die ganze Nacht hindurch spielen konnte. Schon bald sehnte er die Zeit des Schlafengehens herbei, um wieder in dieses wunderbare Land reisen zu können. Mit den Freunden, die er sonst zum Spielen getroffen hatte, wollte er nichts mehr zu tun haben – er war ja tagsüber nun immer so müde vom nächtlichen Toben. Bald schon kümmerten sich die alten Freunde nicht mehr um ihn, und der kleine grüne Drache wurde sehr einsam. Er reiste noch immer jede Nacht in das unbekannte Tal, doch aus dem fröhlichen Drachen war nun ein trauriger geworden, weil er erkennen musste, dass die neuen Freunde nicht mit ihm in seiner Welt leben konnten. So – und wenn du jetzt einschläfst, wirst du ihn sicher dort im Tal, gleich neben dem blauen Fluss treffen, und vielleicht gelingt es dir, ihn aufzuheitern“, kürzte er die Erzählung ab.
Marina schloss artig die Augen. Mario zog die Bettdecke hoch und verließ leise den Raum, um nach Jens und dessen Mathehausaufgaben zu sehen.
„Wieso soll ich die dir zeigen? Du bist nicht Papa! Bloß mein älterer Bruder! Und Mama sagt sowieso immer, du bist kein Genie!“, protestierte Jens und verzog bockig das Gesicht.
„Deine Hausaufgaben zu kontrollieren schaffe ich trotzdem noch. Nun zeig schon her!“
„Papa hat gestern gesagt, du wärst nicht so blöd, wie Mama glaubt, es läge nur an deiner Faulheit. Aber seit du diese Yvonne kennst, wäre auch noch der letzte Schwung für die Schule bei dir verloren gegangen!“, petzte Jens selbstzufrieden.
„Wo sind die Hausaufgaben?“, knurrte sein großer Bruder.
„Ich zeig sie Papa. Und wenn ich ihm dann sage, die sind falsch, weil du wieder mal keine Lust hattest, sie mir zu erklären, löst er sie für mich, und ich muss gar nichts selbst rechnen! Ätsch!“
„Das wirst du nicht tun! Wenn du nicht begreifst, wie man sie rechnet, geht die nächste Klassenarbeit in die Hose!“
„Pffff!“, gab Jens zurück, kramte aber das Heft aus der Schultasche. „Du bist echt mies, weißt du das? Ein echter Arsch! Die anderen in meiner Klasse haben nette große Brüder, die erledigen ihnen die Hausaufgaben und laden sie hinterher auf ein Eis ein!“
Mario schluckte seinen Ärger hinunter und erklärte Jens geduldig den Dreisatz. Ingrid konnte ihr Gedicht inzwischen ohne größere Patzer vortragen. Er hörte sie ab, während er die Wäsche aufhängte.
Die Tür öffnete sich, und seine Eltern kamen nach Hause. Endlich.
„Mario! Sag mal, wieso ist Jens mit seinen Hausaufgabennoch nicht fertig? Du hast den ganzen Nachmittag nichts zu tun und schaffst es nicht einmal, die Hausaufgaben deines kleinen Bruders zu beaufsichtigen!“
„Ingrid musste ein Gedicht lernen. Deutsch ist fertig, Diktat ist geübt, nur Mathe fehlt noch“, rechtfertigte sich Mario.
„Die Yvonne war vorhin hier“, flötete Ingrid und testete eine neue Variante des unschuldigen Augenaufschlags an ihrer Mutter. Das Ergebnis war offenbar zufriedenstellend. Die Tatsache, dass Yvonne den Nachmittag über mit ihr das Gedicht eingeübt hatte, verschwieg sie wohlweißlich.
„Mario! Wo soll das noch enden? Wenn du nicht endlich lernst, Verantwortung für dich und andere zu übernehmen, wird nie etwas aus dir werden!“, jammerte Frau Hilbrich.
Mario floh an seinen Schreibtisch.
Nur weg.
Weit weg von hier.
Mario streifte sich das Headset mit dem integrierten Mikrofon über den Kopf.
Er loggte sich ein und schlüpfte in die Haut eines anderen.
Mit wenigen Klicks verwandelte er sich in Warrior, den muskelbepackten, raubeinigen Kämpfer.
Bis an die Zähne bewaffnet machte er sich auf die Suche nach einem der widerlichen Monster, die hier lebten, eine Chimäre mit Reißzähnen, Menschengesicht und Pferdekörper, geflügelt und mit großer Intelligenz ausgestattet. Heute war sein Tag, das spürte er genau, heute würde er wenigstens eines dieser Viecher endgültig fertigmachen und besiegen. Ein rascher Rundblick zeigte ihm, dass sich seit seinem letzten Besuch auf X2377, dem Planeten der 5. Dimension, nichtviel verändert hatte. Der Vulkan rauchte noch immer, der Wald war nicht in Flammen aufgegangen, und die Burgruine hatte auch keiner der Mitspieler eingenommen. Prima! Jetzt käme Warriors Chance! Er duckte sich und huschte in Deckung, als ein riesiger Drache mit schwarzen Hautflügeln seine Kreise über ihm zog – auf der Suche nach einem Opfer, das er mit einem Feuerstoß in Asche verwandeln konnte.
In der Taskleiste checkte er
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