Steinhauer, Franziska
hatten es leichter. Und nun würde Anton sterben. Noch keine siebzig Jahre alt. Immer gesund, und dann bekam dieser Bär von einem Mann plötzlich einen Hirntumor.
Jakob schüttelte bedrückt den Kopf.
Anton brauchte ihn jetzt an seiner Seite.
Doch der eigentliche Grund für seine Rückkehr war etwas anderes.
Er wollte es ihnen zeigen!
Den Dörflern, die ihn damals in die Flucht geschlagen hatten.
Er war kein Feigling und schon gar kein Mörder!
Das Fett in der zweiten Pfanne war heiß, und er legte zwei Schnitzel hinein, goss das Kartoffelwasser ab und verteilte das Pfannengemüse auf drei Teller. Für Helene die größte Portion.
Der Anwalt in Meran riet ihm schon lange, den Hof in St. Gertraud zu verkaufen. Er hatte geschrieben, das Tal erwache langsam aus seiner Starre und öffne sich zunehmend dem Tourismus. Die Straße würde gerade verbreitert, und es entstünden überall moderne Hotels mit Wellness-Bereichen. Es sei der richtige Zeitpunkt, um einen guten Preis für Land und Hof zu erzielen. Doch Jakob blieb bei seiner Entscheidung: Der Hof würde nicht verkauft werden. In den wenigen sentimentalen Momenten, die er sich erlaubte, räumte er sich selbst gegenüber jedoch die wahren Gründe für sein Zögern ein: Er war nie völlig heimisch geworden in Köln und hoffte, wieder als Landwirt ins Ultental zurückkehren zu können.
Müde briet er, nach einem kritischen Blick auf Helenes Teller, der ihm wie immer viel zu leer vorkam, für seine Tochter noch schnell ein Spiegelei.
Heiko ließ sich auf sein Rufen hin nicht blicken.
Jakob Gumper nahm Helenes Teller und trug ihn in ihr Zimmer. Erwartungsgemäß war sie nicht zu sehen. Er stellte den Teller auf dem Boden ab, klopfte gegen die Schranktür und murmelte: „Helene, ich habe dir dein Essen gebracht. Lass es dir schmecken.“Heiko war nicht zu Hause. Jakob war beunruhigt.
Immer wieder lief der Junge stundenlang durch die Straßen, ohne Ziel, ohne Sinn. Freunde hatte er keine, seit damals vermied er jede Bindung an andere. Die beiden Geschwister waren sich seit jeher selbst genug. Manchmal kam Heiko grün und blau geprügelt von seinen Märschen zurück, zweimal schon hatte er im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Jakob wusste, warum das so war.
Heikos Blick, der Hass, der in ihm lag, seine sture Schweigsamkeit, all das provozierte andere.
Nein! So konnte es einfach nicht weitergehen!
Jakobs Abendessen war inzwischen kalt geworden, und während er zusah, wie der Teller sich in der Mikrowelle drehte, fasste er einen Entschluss, der das Leben seiner „Restfamilie“ von Grund auf verändern sollte.
3
„Lies mir doch noch eine Geschichte vor!“, bettelte Marina und sah Mario mit großen Augen an.
„Welche denn?“, fragte der ältere Bruder und warf sich zu ihr aufs Bett.
Schmerzhaft verzog er das Gesicht.
„Tut dir was weh?“
„Geht schon wieder! Nichts weiter passiert!“
„Papa?“, flüsterte sie mit schreckgeweiteten Augen. „Welche Geschichte denn nun?“, lenkte der große Bruder ab.
„Die mit dem grünen Drachen.“
Mario lachte, suchte aus einem Stapel Bücher das richtige heraus und begann zu lesen. Seine Gedanken schweiften ab, er hätte die Geschichte auch auswendig vortragen können. Seine großen Schwestern, überlegte er, hatten es schlicht klüger angestellt als er. Sie wohnten weit außerhalb Kölns und hatten sich auf diese Weise allen familiären Verpflichtungen entzogen! Hätte er nur vor dem Eintritt in die gymnasiale Oberstufe die Schule gewechselt und sich um die Aufnahme an einem Gymnasium in Essen bemüht. Dann wäre er jetzt ebenfalls weit genug entfernt, und seine Eltern hätten sich nach einer anderen Lösung für die drei Kleinen umsehen müssen!
„Der kleine grüne Drache träumte in dieser Nacht von einem unbekannten Tal, durch das sich ein breiter, dunkelblauerFluss schlängelte. An beiden Ufern standen hohe Bäume, in denen unzählige Tiere hausten, die er noch nie zuvor gesehen hatte. An den Zweigen mancher Bäume hingen Früchte, rot und glänzend, die nur darauf zu warten schienen, von einem hungrigen Drachen verspeist zu werden.“
Die Hausaufgaben von Jens waren noch nicht kontrolliert, und Ingrid musste er den Text noch aufsagen lassen, damit das Gedicht morgen auch wirklich saß. Ein lautes Rumpeln aus dem Bad verriet ihm, dass die Waschmaschine die Bearbeitung des letzten Programmpunktes in Angriff genommen hatte.
„Und so träumte sich der grüne Drache jede Nacht in das fremde
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