Steinhauer, Franziska
Niedertracht bei Berta vermutet. Niemand hat das. Nur euer Onkel Anton hat geahnt, wie einsam und unglücklich Berta war und wie sie in ihrer Brust den Hass genährt hat gegen all die, deren Leben so verlief, wie sie sich das eigene gewünscht hätte. Es tut mir so leid. Wirklich! Könnte ich alles ungeschehen machen, würde ich es tun“, schloss er zerknirscht.
Helene sah ihn lange unverwandt an, dann nickte sie kaum merklich.
„Ist es jetzt vorbei?“, flüsterte sie.
„Eure Tante kommt sicher ins Gefängnis, vielleicht auch in eine geschlossene psychiatrische Anstalt, das wird man abwarten müssen. Die anderen Mörder werden ebenfalls hinter Gitter landen und natürlich Rainer, der Amalia so schwer verletzt hat. Euer Großvater ist gestraft genug. Ich bin davon überzeugt, dass er nicht wusste, dass Berta ihre Schwester ermordet hat. Man kann nur hoffen, dass nun endlich Ruhe im Tal einkehrt“, erklärte Dr. Gneis allerdings ohne echte Überzeugung.
Die Nikolausstraße war dunkel und still.
Hinter einigen Fenstern des Seniorenheims brannte Licht, es hatte zu regnen begonnen, und nur wenige Menschen waren unterwegs.
Das ehemalige Zuhause der Kinder Lucifers wirkte abweisend und unbeseelt.
Während der kalte Wind die harten Regentropfen um die Ecken blies, dachte Klapproth darüber nach, ob die Freunde es geschafft haben konnten, aus eigener Kraft nach Köln zurückzukehren. Pässe und Geld hatten die italienischen Kollegen in ihren Rucksäcken nicht gefunden. Wahrscheinlich hatten die beiden ihre Brieftaschen also bei sich gehabt. Theoretisch wäre es ihnen damit möglich gewesen, noch in derselben Nacht auszureisen, bevor die Fahndung ausgelöst worden war. Vorausgesetzt, sie waren entkommen, bevor der Mob die Jagd auf die Satanisten eröffnet hatte. Flüchtig erinnerte sie sich daran, dass sie Mendetti noch einmal nach Kevin Baumeister fragen wollte, vielleicht hatte er sich der beiden Neuzugänge ja angenommen.
Robert Müller hatte einen immens verstörten Eindruck auf sie gemacht. Wie furchtbar mochte es sein, als Manuels kleiner Bruder aufzuwachsen? Vielleicht war Nocturnus schon seit seiner Kindheit sadistisch veranlagt und hatte Robert gequält und schikaniert. All das würde sie erfahren, Robert wurde zurzeit psychiatrisch betreut. Blieb die Frage, ob er seinem Bruder nicht nur die Hand abgetrennt, sondern ihn auch ermordet hatte.
Ihr Handy meldete einen Anruf.
„Oh, Malte! Hast du schon etwas herausgefunden?“
„Ich habe nachgefragt, aber weder in Holland noch in Dänemark sind Neumitglieder registriert worden oder haben vorgesprochen. Mario ist auch bei Yvonne Lichter nicht aufgetaucht, ich bin bei ihr vorbeigefahren. Und noch etwas. Die dritte Neuigkeit kommt aus Südtirol. Dein Commissario hat angerufen. Sie haben eine Leiche aus der Etsch gefischt. Einen jungen Mann, groß, schlank, blond.
Die Identifizierung steht noch aus. Er fährt hin und wird dich auf dem Laufenden halten.“
„Julian!“ Klapproth lehnte sich an die feuchte, eisige Hauswand. So war der Kampf der Freunde um Selbstbestimmtheit und Freiheit zwischen den Fronten im Ultental zerrieben worden! Für einen Moment waren all die Mordindizien gegen die beiden vergessen, und tiefe Traurigkeit erfasste sie.
„Dann ist Mario auch nicht weit“, sagte sie nur noch und legte auf.
Gerade als sie sich zum Gehen entschloss, bemerkte sie einen Schatten, der sich aus dem gegenüberliegenden Hauseingang löste und mit raumgreifenden Schritten in Richtung Innenstadt eilte, eine kleine Reisetasche in der Hand.
Dolorus war also doch noch hier!
Endlich konnte sie von ihren Erfahrungen aus ihren „wilden Jahren“ Gebrauch machen! Einbruch war dabei eine der leichteren Übungen gewesen!
Lange sah sie der schwarzen Gestalt nach, dann huschte sie über die Straße.
38
„Maja? Hier spricht Nikola“, teilte ihr der Anrufbeantworter mit, als sie nach Hause kam. „Der Tote aus der Etsch sieht schrecklich aus. Er hat offenbar lange Zeit auf dem Bauch im Bachbett gelegen, und durch die heftigen Strömungsbewegungen – na ja. Ich halte es für keine gute Idee, Julians Eltern zu bitten, den jungen Mann zu identifizieren. Besser wäre es, wenn wir eine DNA-Analyse aus Köln bekommen könnten, die wir hier mit unserer vergleichen können. Es tut mir sehr leid.“
Mitten in der Nacht schreckte sie hoch.
Schweißgebadet setzte sie sich auf und wartete darauf, dass ihr Puls sich wieder normalisierte.
Es hatte einige Tage gedauert, bis
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