Steinhauer, Franziska
Helene.
„Amalia, denk doch auch an Hildegard! Sie hat so tapfer an deiner Seite gekämpft. Und nun wartet sie auf dich. Bei jedem Geräusch läuft sie erwartungsvoll zur Tür! Ehrlich, Amalia, alles hat sich geändert, als wäre es nötig gewesen, den Ort wachzurütteln. Glaub mir, jetzt wäre ein ganz schlechter Moment, um alles hinter dir zu lassen!“
„In St. Gertraud gibt es eine Seherin“, erzählte Klapproth so beiläufig wie möglich und nahm sich vor, sich beim nächsten Telefonat nach der beeindruckenden Frau zu erkundigen.
„Aha – und was willst du mir damit sagen? Willst du sie nach Mario und Julian fragen?“ Paulsen warf der Kollegin einen argwöhnischen Blick zu. Das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein!
„Mir hat sie geraten, das Ultental so schnell wie möglichzu verlassen, weil etwas Schreckliches geschehen würde. Es hat Tote gegeben“, verteidigte sich Klapproth vehement. „Vielleicht wäre es ja einen Versuch wert. Die Polizei scheint die beiden jedenfalls nicht finden zu können!“
„Hat sie dir aus der Hand gelesen?“, fragte der Kollege amüsiert.
„Nein! Glaub doch, was du willst! Ich war am Anfang auch skeptisch, finde sie mittlerweile aber beeindruckend! Außerdem hat sie prophezeit, dass auch in Köln etwas Furchtbares passieren wird!“, beharrte Klapproth.
„Na, dazu gehört nicht viel! Köln ist eine echte Großstadt, hier gibt es beinahe jeden Tag ein ,furchtbares Ereignis‘. Jedenfalls gemessen an dem, was gemeinhin im Ultental geschieht. Themawechsel! Du bist doch bei jedem Wetter draußen unterwegs. Im Ultental herrschen schon jetzt tagsüber meist Minusgrade, und nachts kühlt es deutlich ab. Sagen wir mal Tagestemperaturen um minus sechs Grad, nachts kälter. Wenn die beiden draußen schlafen, könnten sie das überleben?“
„Nein! Vollkommen ausgeschlossen!“ Klapproth schüttelte heftig den Kopf. „Die ersten Todesopfer durch Unterkühlung sind schon zu beklagen, wenn die Temperatur deutlich über null Grad liegt – wenn sie darunter fällt, brauchst du auf jeden Fall eine entsprechend geeignete Ausrüstung!“
„Unter den Trümmern des Gebäudes hat man keine Opfer gefunden, ergo konnten sie rechtzeitig aus dem Gebäude fliehen. Im Wald lagen zwei Leichen. Nocturnus und Stein, ermordet. Die Suchmannschaften haben das ganze Gebiet durchkämmt, Hunde, Hubschrauber. Nichts. Wären sie tot, hätten sich doch wenigstens ihre Leichen finden müssen. So furchtbar weit können sie doch nicht gekommensein. Bestenfalls ein Stück weit hinunter ins Tal, aber nicht darüber hinaus! Wo also sind die beiden?“
„Aus dem Dorf war bestimmt keine Hilfe zu erwarten. Anna hätte Julian vielleicht versteckt, aber die war ja im Kino und wusste von nichts. Vielleicht haben sie unbemerkt von den Bauern in Ställen übernachtet – die sind meist unverschlossen. Wenn sie außerdem ein bisschen Geld dabeihatten, konnten sie sich beim Bäcker Brot oder Brötchen kaufen und weiterziehen“, schlug Klapproth vor.
„Möglich wär’s. Angenommen, sie haben sich tatsächlich durchgeschlagen – wo sind sie hin? Nach Hause?“
„Kaum. Also ich wäre nach so einer Aktion jedenfalls ganz bestimmt nicht unter Mamas Flügel zurückgekrochen! Ganz sicher nicht!“, behauptete die Hauptkommissarin empathisch. „Wohin können sie sich sonst noch wenden? An andere Satanisten? Gibt es die Kinder Lucifers auch anderswo?“
„Moment.“ Malte Paulsen tippte auf der Tastatur den Suchbegriff in eine Maske ein und starrte dann ungeduldig auf den Monitor.
„Hm. Nein, wohl nicht direkt. Aber die Suchmaschine findet ähnliche Organisationen in Dänemark und Holland“, fasste er zusammen.
„Ruf da mal an und frage vorsichtig nach. Ich habe noch eine andere Idee, wo die beiden sein könnten, wenn sie noch am Leben sind!“, rief Klapproth dem verblüfften Kollegen zu und war schon zur Tür hinaus.
Dr. Gneis war froh, Helene und Heiko gemeinsam anzutreffen.
Er lud die Geschwister in die Cafeteria ein, weil er glaubte, dort würde es sich leichter beichten lassen.
„Wisst ihr“, begann er zögernd, „im Grunde lag alles nur daran, dass ich dachte, psychologisieren und Schicksal spielen zu müssen.“ Dann folgte eine umständliche und weitschweifige Erklärung.
Die beiden hörten ihm interessiert zu.
„Also, was ich sagen will, ist, ich wollte eigentlich für euch das Beste. Erreicht habe ich allerdings das komplette Gegenteil! Seht ihr, ich habe nie im Leben so viel
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