Steinhauer, Franziska
aktuellen Fall abgelenkt. Undeutlich erinnerte sie sich daran, etwas Ähnlichesschon einmal gesehen zu haben, doch das musste vor langer Zeit gewesen sein.
„Schlichte Gemüter?“, fragte sie.
„Aber ja! Die Hölle, wie die christliche Kirche sie ihren Gläubigen darstellt. Qualen, Schmerzen, unvorstellbare Leiden. Hier auf diesem Bild ist all das abgebildet. All die Ängste, die dafür sorgen, dass der gute Christ sein Leben lang den lebensfeindlichen kirchlichen Geboten folgt und dem angeblichen Wort Gottes. Die Kirche erpresst die Menschen – ist Ihnen das noch nie aufgefallen? Wer nicht so lebt, wie sie es vorschreibt, der wird leiden – ohne Ende und über den Tod hinaus. Aber das ist natürlich alles Humbug. Es hat nichts mit dem zu tun, was Satan für uns in seinem Reich bereithält.“
Eine stattliche Kartäuserkatze streifte um Nocturnus’ Beine. Er hob sie auf seinen Schoß, und das Tier rollte sich dort zusammen. Aus bernsteinfarbenen Augen behielt es die Besucherin aufmerksam im Auge. „Sein Name ist Dahmer, Jeffrey Dahmer.“
„Wie passend. Der Name eines Serienkillers“, meinte Klapproth und kehrte zum Thema zurück. „Aber was Satan für die Menschen vorbereitet hat und ob es sein Reich überhaupt gibt, wissen Sie erst nach dem Tod, nicht wahr?“
„Oh nein. Das ist ja der entscheidende Unterschied. Wir dürfen schon jetzt der Segnungen seines Reiches teilhaftig werden. Am Ende unserer irdischen Existenz wird es aber nochmals schöner und befriedigender sein. Wer nach unseren Regeln lebt, erfährt sehr schnell, wie Satan sein Leben zum Positiven beeinflusst. Eine zentnerschwere Last fällt von ihm ab. Satan nimmt ihm seine Sünden ab, denn in seinem Reich gibt es die alten Zwänge nicht mehr. Satan will, dass wir unser Leben invollen Zügen genießen, und wird diejenigen belohnen, die das im Übermaß getan haben!“
Maja Klapproth spürte die suggestive Kraft, die von diesem durchtrainierten, charismatischen Mann ausging. Selbst ohne die schwarze Kleidung und all die anderen Zeichen seiner Zugehörigkeit zu den Kindern Lucifers fiel es einer nüchternen, sachlichen Zuhörerin wie ihr schwer, seine Worte einfach nur als bloße Hirngespinste abzutun. Welch fatale Wirkung musste er erst bei Jugendlichen entfalten, deren Psyche im wilden Sturm der Pubertät entwurzelt war. Was für ein pathetisches Bild, schalt sie sich. Außerdem war sie nicht hergekommen, um mit Nocturnus über religiöse und weltanschauliche Fragen zu diskutieren!
„Julian Baier und Mario Hilbrich sind offensichtlich von Ihrem Satanskult ganz begeistert.“
„Unsere Lehre ist klar und schnörkellos. Sie kommt den Menschen entgegen, ist ein Teil von ihnen. Sie müssen sich dabei nicht verbiegen und ihre Wünsche verleugnen! Kein Wunder, dass sie Menschen begeistert, finden Sie nicht?“
Maja Klapproth zog Fotos der Freunde aus der Tasche und legte sie auf den Glastisch.
„Sind das die Vermissten? Welcher von denen auf diesem Bild soll es sein?“ Nocturnus betrachtete interessiert die Gesichter auf dem Familienfoto der Hilbrichs.
„Dieser hier.“, Klapproth zeigte mit ihren kräftigen Fingern auf ein Lausbubengesicht. „Das ist Mario Hilbrich. Das andere Bild zeigt Julian Baier.“
Nocturnus nahm die Fotos in die Hand und studierte sie aufmerksam.
„Nun, irgendwie kommen mir die Gesichter bekannt vor. Aber bei den vielen jungen Menschen …“
„Schade!“, Klapproth steckte die Bilder wieder ein und legte stattdessen ihre Visitenkarte auf die Tischplatte. „Hier steht auch meine Mobilfunknummer drauf. Sollte Ihnen also noch einfallen, wo Sie die beiden zuletzt gesehen haben, können Sie mich jederzeit anrufen.“
Der religiöse Führer nickte hoheitsvoll.
„Wenn Sie vielleicht eine Neuorientierung wagen möchten, kommen Sie bei uns vorbei. Wir zeigen Ihnen den Weg aus jeder persönlichen Krise. Wir haben sogar Lösungen für die Probleme unserer gesamten Gesellschaft – aber die glaubt ja noch immer an eine Rettung durch Gott. Als hätte diese schwächliche Kreatur je irgendetwas zur Rettung der Menschheit unternommen. Wenn es nach Gott gegangen wäre, hätten wir Menschen noch nicht einmal das Feuer bekommen! Wir würden bis heute von den Freuden der sexuellen Erfüllung ausgeschlossen bleiben, weil uns der Apfel der Erkenntnis verboten wurde! Aber ich sage Ihnen, diese Gesellschaft wird noch an ihren eigenen Irrtümern zugrunde gehen. Die Starken werden erkennen, wie es den Schwachen gelungen
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