Steinhauer, Franziska
Spur ein.
„Wie kann man sein Kind nur so prügeln?“
„Hilflosigkeit, eine Möglichkeit, seine eigenen Frustrationen abzureagieren – und andere Schläger sind schlichtweg betrunken oder pervers“, fasste Klapproth zusammen.
„Aber den eigenen Sohn so zu verprügeln, dass er Blut spuckt und genäht werden muss! Das ist einfach unvorstellbar.“
Klapproth schwieg.
Ihre Mutter hatte stets geschwiegen. Auch von ihren Kindern verlangt, dass nichts nach außen getragen wurde, dass sie sich duckten, sich nicht wehrten und warteten, bis das Gewitter vorüber war. Und als sie mit ihrer Mutter viele Jahre später über das Thema hatte sprechen wollen, hatte diese nur lapidar gemeint, es sei wirklich schrecklich, dass manche Eltern Gewalt mit Erziehung verwechselten, und Maja könne wirklich von Glück reden, dass ihr so etwas nie widerfahren sei, ihr Vater sei immer beherrscht und gerecht gewesen. Fassungslos hatte sie ihre Mutter damals angestarrt, hatte jedoch in deren Augen kein unruhiges Flackern entdeckt. Die hässlichen Prügelszenen waren aus ihrem Gedächtnis komplett gelöscht gewesen.
„Für mich ist unverständlich, dass wir nicht ermitteln können, obwohl wir sehen, dass hier ein Kind gequält wird. Wenigstens eine Art Kontrollverfügung müsste doch möglich sein!“Sie starrte auf die Straße hinaus.
„Was ist, wenn wir die Angelegenheit falsch bewerten?
Bringen wir die beiden dann eventuell in Lebensgefahr?“, fragte sie und zwang ihr Denken zu den Satanisten zurück.
„Wie meinst du das?“
„Die Satanisten werben doch ihre Mitglieder“, begann Klapproth ihren neuen Gedankengang zu entwickeln. „Wenn sie nun gezielt Jugendliche ansprechen, die aussehen, als stammten sie aus wohlhabenden Elternhäusern?“
„Du hältst es für möglich, dass Lucifers Kinder die beiden entführt haben? Bisher deutet nichts darauf hin. Pass bloß auf, dass das bei dir nicht zur fixen Idee wird“, mahnte der Kollege.
„Aber wenn wir nun dort auftauchen und nach Julian und Mario fragen, scheuchen wir die Satansjünger auf, und sie reagieren womöglich nervös. Und falls sie die Jungs gefangen halten, könnte es sogar gefährlich werden.“
„Nein. Egal, aus welchen Gründen auch immer sich die beiden bei den Kindern Lucifers aufhalten – Nocturnus weiß, dass er uns damit auf den Plan lockt und wir bei ihm nachfragen werden, sobald sie vermisst werden. Ganz sicher.“
„Du meinst, sie rechnen mit unserem Besuch?“
„Ja. Und wenn sie nichts mit dem Verschwinden der beiden zu tun haben, gibt es bei Lucifers Kindern auch keinen Grund zur Nervosität, denn dann wissen sie nichts davon. Die Medien sind bisher nicht informiert.“
Klapproth starrte auf die rote Ampel und schwieg. „Hast du eigentlich gewusst, dass diese Sekten heute gar nicht mehr so richtig den Teufel meinen, wenn sie zu ihm beten? Im Internet findet man Hunderte von Seiten dazu.
Sie versuchen ihre Anhänger zu selbstbewussten und starken Persönlichkeiten heranzubilden, die sich nehmen, wovon sie glauben, es stehe ihnen zu. Sie sollen das Leben genießen.“
„Klingt in meinen Ohren nicht ganz falsch.“ Es wurde endlich Grün, und Paulsen bog ab.
„Hmm. Entspricht das nicht eh schon dem allgemeinen modernen Lebensstil? Grenzenloser Egoismus, der Starke siegt, der Schwache geht eben unter. Fabian hat Recht: Unsere Gesellschaft ist von Satan längst unterwandert!“
Malte Paulsen fluchte herzhaft, als ihm ein Radfahrer die Vorfahrt nahm. „Nun sieh dir das an: Keine Knautschzone, kein Nummernschild, keine Möglichkeit für eine Anzeige!“
„Vielleicht kann Nocturnus ja etwas für dein gesundes Rechtsempfinden tun. Den Radler verfluchen oder so etwas.“ Als Klapproth jedoch das verzerrte Gesicht ihres Kollegen sah, musste sie trotz der beunruhigenden Ungewissheit über den Verbleib der beiden Jugendlichen laut lachen.
Nocturnus war überhaupt nicht begeistert, als er die beiden Ermittler auf seinem Monitor erkannte. Gerade jetzt konnte er keine Schnüffeleien im Haus gebrauchen. Der Umzug, dessen Vorbereitungen in die entscheidende Phase eingetreten waren, erlaubte keine Störungen. Bestimmt hatte der ungebetene Besuch mit Julian und Mario zu tun. Aber es war zu befürchten gewesen, dass man die beiden zuallererst bei ihm und seinen Satanisten suchen würde.
Oder kamen die Kripobeamten etwa wegen des Obdachlosen?Nein, beruhigte er sich sofort, Kevin hatte alle Spuren, die auf Mario und Julian hinwiesen, nachträglich
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