Steinhauer, Franziska
ist, sie fast bis zur vollständigen Unmündigkeit kleinzuhalten. Und dann werden sie sich auf ihre unterdrückten Kräfte besinnen und ein gesamtgesellschaftliches Umdenken erzwingen!“, predigte Nocturnus.
„Wann hätten die Schwachen je die Starken gebunden? Ist es nicht von jeher so, dass die Starken alles an sich reißen und die Schwachen vernichten?“
„Nein. Das will die Kirche die Menschen nur glauben machen! Für Obdachlose und Arbeitsscheue erarbeiten die Starken den Unterhalt, weil die Schwachen uns eingeredet haben, dass das so sein muss – und die christlichen Schafe glauben es. So genießt der Schwache sein Leben auf Kostendes Starken, der stattdessen mit seinem auf diese Weise sinnlos vergeudeten Geld seine eigene Stärke hätte mehren können!“
Maja Klapproth konnte in Nocturnus’ Augen deutlich den mühsam gebändigten Hass erkennen. „Nur weil wir uns von den Pfaffen haben einreden lassen, es gäbe eine Verantwortung für die Gesamtgesellschaft! Diese Politik raubt unseren Kindern ihre strahlende Zukunft!“ Er beugte sich zu Maja Klapproth hinüber und starrte sie durchdringend an. „Was, glauben Sie, ist der Grund dafür, dass uns das Geld für die Bildung und Entwicklung unserer Jugend fehlt? Weil wir dieses ganze Pack mit durchfüttern, das immer höhere Ansprüche stellt! Dabei war es von jeher so vorgesehen, dass ein jeder für sich und die seinen selbst zu sorgen hat! Aber von mehr Bildung geht natürlich auch die Gefahr aus, dass immer mehr Menschen diese Wahrheit erkennen könnten.“
„In Ihrer Gesellschaft würden Menschen raubend, mordend und plündernd durch die Straßen ziehen! Es wäre eine finstere Welt, in der ich nicht leben möchte!“, zischte sie zurück. „Es wäre die Hölle auf Erden!“
Nocturnus lehnte sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zurück.
„Ich sehe mit Bedauern, dass Sie meine Auffassung nicht zu teilen vermögen.“ Er stützte die Ellbogen auf die Stuhllehnen und drückte die Kuppen seiner sehnigen Finger aneinander.
„Denken Sie nicht auch manchmal, dass das viele Steuergeld, das in die Kasse des Staates fließt, sinnvoller ausgegeben werden müsste? Dass es nicht Sinn der Sache sein kann zu verlangen, dass die Erfolgreichen gezwungen werden, für die Faulen, Dummen und Eingeschränkten zu arbeiten?Gehen Sie, Frau Klapproth! Bei mir werden Sie die beiden Gesuchten nicht finden!“
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür unterbrach ihren Disput. Von einem blassen Satanisten begleitet, wurde Paulsen zu ihnen hereingeführt.
„Nun?“
„Ein Zimmer, zwei benutzte Betten – von den Bewohnern jedoch keine Spur. Ich bin sicher, wenn wir das Bettzeug mitnehmen, werden die Kollegen die DNA-Spuren unserer beiden Vermissten darauf finden.“
„Was nur beweisen würde, dass sie irgendwann einmal hier übernachtet haben, mehr nicht. Sie sprachen ja davon, dass die beiden unserer Organisation mit Sympathie begegnen. Und es spricht ja wohl nichts dagegen, Freunden zu erlauben, bei uns zu übernachten, nicht wahr?“ Nocturnus hatte sich wieder beruhigt und lächelte milde.
„Wir nehmen das Bettzeug mit!“, entschied Klapproth.
Wenig später sah Nocturnus den beiden Beamten nach, wie sie, mit dem Bettzeug in zwei großen Müllsäcken unter dem Arm, das Haus wieder verließen. Erst als er sicher war, dass sie sich nicht mehr umdrehen und zurückkehren würden, zog er sein Mobiltelefon aus der Tasche.
„Kevin“, sagte er leise, „du lässt die beiden erst einmal verschwinden. Bring sie nach St. Gertraud. In ein paar Tagen lassen wir sie dann, sozusagen gut gelaunt, aus dem Urlaub zu Hause anrufen.“
„Gut“, bestätigte Baumeister, beendete das Gespräch und drehte sich danach augenzwinkernd zu den Freunden um. „Nun zu euch“, meinte er entschlossen. „Habt ihr eure Ausweise und Zahnbürsten dabei?“
Berta Pumpa starrte aus dem kleinen Küchenfenster. Von hier aus konnte sie Jakobs Hof zwischen den Bäumen hindurch auf der gegenüberliegenden Talseite liegen sehen. Rauch stieg von dort auf! Neugierig geworden, griff sie nach dem Feldstecher, der stets auf dem Fensterbrett bereitlag, und versuchte genauer zu erkennen, was dort vor sich ging.
Zwei Männer tanzten um ein Feuer vor der großen Scheune herum!
Hektisch stellte sie die optimale Schärfe ein. Dr. Gneis und Jakob! Natürlich!
„Vater! Vater!“, rief sie laut, und der ehemalige Ortsvorsteher eilte so schnell er konnte zu ihr in die Küche.
„Was ist?“, keuchte er,
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