Steinhauer, Franziska
ein schöner Brauch. Wenn sie ihr inverses Kreuz durch die Straßen tragen würden, wäredas sicher auch ein feierlicher Anblick – aber das war in ihrem Buch der Riten nicht vorgesehen, dachte er bedauernd.
Ein niedriger Holzschuppen kuschelte sich an das große weiße Pfarrhaus, als suche er Deckung vor Wind und Wetter. Links, oberhalb seines Dachfirstes, fand sich ein kleines, vergittertes Fenster in der Wand des Pfarrhauses.
Dieses Fenster war früher nicht vergittert gewesen. Man hatte die schweren Metallstangen erst vor einigen Jahren in die Mauerleibung eingelassen, nachdem deutlich geworden war, wie leicht man durch so ein Fenster ins Haus einsteigen konnte.
Kevin kannte die spektakuläre Geschichte des Widums gut.
Es war ein Tatort.
Schauplatz eines unaufgeklärten Mordes.
Mit dem Pfarrer als Hauptverdächtigem.
Oberhalb des Grundstücks führte ein schmaler Weg direkt am Waldrand entlang. Eines der Zaunelemente war zur Seite gekippt. Es lag seit mehr als dreißig Jahren schon so – umgestürzt, halb auf der Wiese hinter dem Schuppen des Widums.
Offensichtlich war das Anbringen des Fenstergitters die einzige Veränderung, die hier in all den Jahren vorgenommen worden war – dabei war es noch immer leicht, über einen der nach hinten hinaus gelegenen Balkone ins Pfarrhaus einzusteigen.
Ein Kinderspiel.
Dieses Haus machte St. Gertraud erst zu einer angemessenen Heimat für die Kinder Lucifers.
Baumeister lächelte.
Er konnte sich nicht vorstellen, was für ein sexuellesInteresse ein junger Pfarrer an einer Frau Mitte sechzig gehabt haben sollte, zumal damals schon bald Gerüchte aufgekommen waren, der Seelsorger habe zu vielen jungen Frauen Kontakt gehabt, möglicherweise sogar Liebesbeziehungen mit ihnen unterhalten.
Freispruch aus Mangel an Beweisen!
Was nicht mehr bedeutete, als dass man ihm den Mord nicht nachweisen konnte, er ihn aber vielleicht dennoch begangen hatte.
Doch, wie Kevin wusste, gab es auch noch andere Gerüchte.
Man tuschelte, der wahre Täter sei aus dem Dorf gekommen und habe dafür sorgen wollen, dass der neue Pfarrer so schnell wie möglich wieder verschwände.
Gab es einen Ort, an dem Satan noch offensichtlicher mit den Menschen und ihren Schicksalen gespielt hatte, als diesen?
Das neue Stammhaus der Kinder Lucifers lag so, dass diese direkt auf das Widum sehen konnten. Eine unbezahlbare Aussicht!
Satan! Er würde sich im Mordzimmer sicher deutlicher erspüren lassen als irgendwo sonst, ja, vielleicht käme es gar zu einer Manifestation bei einem seiner Anhänger, und Fliri Platzgrummer könnte endlich den Namen ihres Mörders nennen!
Baumeister warf noch einen letzten Blick auf das trutzige Gebäude, dann eilte er zurück, um im Haus Lucifers alles für Nocturnus’ Ankunft vorzubereiten.
„Habt ihr das auch schon gehört?“ Matti war atemlos in den Ultnerhof gestürmt. „Diese Satanisten wollen eine schwarze Messe im Widum abhalten!“
Hastig schlug jeder das Kreuz vor der Brust. Annemarie keuchte: „Sie wollen den Geist der Platzgrummer beschwören, damit sie endlich den Namen ihres Mörders nennen kann!“ Die Bäuerin war völlig außer sich, ihr Atem ging stoßweise, und ihre Augen traten weit aus den Höhlen.
„Das dürfen die gar nicht!“, antwortete Moretti, der Leiter der Feuerwehr, selbstbewusst und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das wäre Hausfriedensbruch!“
„Na, wahrscheinlich werden sie vorab keine Einladungen verschicken!“, gab Frieder schnippisch zur Antwort.
„Ach, das ist doch kein Problem! Wir müssen nur gut aufpassen. Und wenn sie einsteigen, informieren wir eben die Carabinieri. Vielleicht werden wir sie auf diese Weise gleich wieder los!“, blieb Moretti bei seiner Betrachtung.
„Das verstehe ich nicht.“ Reni brachte jedem ein Glas Wein. „Ihr versucht seit ewigen Zeiten, den Mörder der Platzgrummer zu finden, und jetzt, wo man euch Hilfe dabei anbietet, wollt ihr die Polizei holen!“
Die Nachricht von der schwarzen Messe verbreitete sich im Dorf wie ein Lauffeuer, und immer mehr Gertrauder fanden sich im Gasthof ein.
„Ich weiß wirklich nicht, warum ihr euch so aufregt.“ Auch der Bäcker war überrascht über den allgemeinen Aufstand. „Ist doch eine gute Sache.“
„Erst willst du Brötchen an den Teufel verkaufen und nun auch noch unseren Seelenfrieden!“, ereiferte sich der Seelsorger. „Wir können unmöglich zulassen, dass das Widum durch eine schwarze Messe entweiht wird.“
„Das ist
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