Steinhauer, Franziska
sahen einander lange an.
„Wieso ,entkleidet‘? Julian, hast du …?“
„Nein! Quatsch! Wir waren danach doch zusammen.
Außerdem dachte ich ja zu der Zeit noch, der Mann hätte überlebt. Da werde ich doch wohl kaum zu ihm zurückgehen! Stell dir vor, der hätte mich zu fassen gekriegt und zur nächsten Wache geschleift! Und was ist mit dir?“
Mario schüttelte nur den Kopf.
„Vielleicht haben ja gar nicht wir ihn getötet – sondern der, der ihn ausgezogen hat!“, flüsterte Julian entsetzt. „Das darf Nocturnus nicht erfahren. Sonst wird er glauben, erhabe uns für die Tat eines anderen gelobt – schlimmer noch: Wir hätten die Tat eines anderen als unsere ausgegeben! Dann wird er uns nicht taufen!“
„Von uns wird er es nicht erfahren! Wir tun einfach so, als hätten wir den Artikel nicht gelesen. Außerdem kann es auch noch sein, dass sich ein anderer Penner als Leichenfledderer betätigt hat, als unser Kandidat schon tot war. Nach dem Motto, der braucht die Klamotten eh nicht mehr, aber mir ist kalt“, versuchte Mario den Freund und sich zu beruhigen. „Wir werden Kinder Lucifers, es wird schon klappen.“
„Aber komisch ist es doch! Zieht ihm jemand die Kleider aus …“
20
Maja Klapproth starrte wütend aufs Telefon.
„Was ist los?“, wollte Paulsen wissen, der die Akten auf seinem Schreibtisch zu mehreren Stapeln sortierte.
„Die Nummer ist abgemeldet!“
„Wessen Nummer?“
„Lucifers Kinder! Der Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar – sagt jedenfalls die freundliche Stimme vom Band!“
„Das wundert mich ehrlich gesagt überhaupt nicht!“ Paulsen zog die linke Augenbraue hoch. „Nach der Presse, die sie in letzter Zeit hatten, war es wahrscheinlich notwendig, den Anschluss sperren zu lassen.“
„Wie konnten sich Julians Eltern auch nur an die Presse wenden! Dr. Glück hat furchtbar getobt! Der Junge und sein Freund sind verschwunden, und wir haben noch nicht den geringsten Ermittlungsansatz gefunden!“
„Immerhin konnten wir von Manfred Krauses Freunden eine Beschreibung seines Rucksacks und seiner Kleidung bekommen. Vielleicht finden wir sie ja noch!“
„Haben wir das Handy von Julian gefunden?“
„Keine Peilung. Vielleicht ist es kaputt.“
„Mist!“
Malte Paulsen zog seine Jacke von der Stuhllehne und schlüpfte hinein.
„Kann ich dich irgendwo absetzen?“, fragte er und fügteentschuldigend hinzu, „heute ist doch Geburtsvorbereitungskurs. Michaela möchte gerne, dass ich sie begleite. Schließlich soll ich bei der Entbindung mit dabei sein, und sie möchte sichergehen, dass ich nicht allzu viele Fehler mache.“
„Geht es ihr gut? Sie muss ja inzwischen schon ein stattliches Bäuchlein haben!“ Klapproths Ärger war verraucht.
„Ja, ganz rund. Manchmal glaube ich ja, der Arzt hat beim Ultraschall den Zwilling nur übersehen. So etwas kommt ja gelegentlich vor! Aber Michaela ist so high, dass sie der Bauch kein bisschen stört. Kann ich dich ein Stück mitnehmen?“
Entschlossen griff Klapproth nach ihrer Jacke und lachte: „Setz mich irgendwo in der Innenstadt ab, ich glaube, ich werde heute zum Essen ausgehen!“
In diesem Moment klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.
„Anruf bei den Baiers. Wir konnten nur feststellen, dass der Teilnehmer aus dem Ausland angerufen hat. Vermutlich aus Italien“, informierte sie ein Kollege aus dem Team, das die Telefonüberwachung durchführte.
„Lösegeldforderung?“
„Nein. Der Sohn selbst war dran. Er hat seine Eltern gebeten, mit den Geschichten in der Presse aufzuhören, er mache Urlaub.“
„Aha. Ich brauche das Band hier. Ihr habt eine halbe Stunde!“
Sie winkte Paulsen zum Abschied.
„Geh schon. Das Band abzuhören, schaffe ich gerade noch allein!“
Als ihr Telefon wieder klingelte, war Paulsen schon verschwunden. Wieder war es der Kollege von der Telefonüberwachung. „Jetzt ist auch bei den Hilbrichs angerufen worden. Allerdings war das Gespräch auch diesmal zu kurz, um es zurückverfolgen zu können. Auch bei ihnen war es der Sohn. Er will seine Ruhe haben!“
„Gut. Bringt mir die Mitschnitte her. Die Eltern haben den jeweiligen Teilnehmer als ihren Sohn identifiziert? Keine verstellten Stimmen?“, fragte sie den Kollegen vom Technikteam.
„Sie meinten, es wären eindeutig die Stimmen ihrer Söhne gewesen. Aber wir machen zur Sicherheit noch eine Analyse. Sollte es sich bei beiden Anrufen um ein und denselben Sprecher gehandelt haben, kriegen wir das
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