Steirerherz
fuhr zusammen, als
ihr Handy läutete. »Griaß di’, Lubensky«, begrüßte sie den Anrufer, »ich hab schon
mit deinem Anruf gerechnet. Ich bin bereits bei der Leiche in Sankt Stefan.«
»Hä? Du bist bei der unbekannten
Toten in Sankt Stefan ob Stainz? Wie denn das? Kannst du hellsehen?«, fragte Lubensky.
»Fast. Hör zu: Ich bin im Weingarten
der Familie Fürnpass. Und ich weiß auch schon, wer die unbekannte Tote ist. Es handelt
sich um Pia Fürnpass – die ältere Tochter des Winzers. Außerdem war sie die beste
Freundin von Valentina Trimmel, die erst vor einer Stunde ganz in der Nähe beerdigt
wurde. Sieht ebenfalls nach Ritualmord aus, aber diesmal ohne Zaunpfahl«, sprudelte
Sandra hervor, obwohl Lubensky die meisten der Informationen gar nicht benötigte.
Ihr fiel auf, dass auch diese Leiche keine Schuhe trug. Noch näher würde sie sie
aber erst begutachten können, wenn die Kriminaltechniker die Spuren gesichert und
den Leichenfundort für die weiteren Ermittlungen freigegeben hatten. »Was ist mit
der SpuSi?«
»Die Spurensicherung ist schon unterwegs.
Auch Frau Doktor Kehrer und der Leichentransport sind bereits verständigt. Bergmann
hat frei, also leitest du den Einsatz. Der Fall gehört euch.«
»Na dann, herzlichen Dank … Der Fundort ist bereits abgesichert«,
meldete Sandra, »pfiat di, Lubensky.«
»Viel Glück, Sandra«, erwiderte
Lubensky und trennte die Verbindung.
»Wer hat die Tote denn gefunden?«,
wandte sie sich an einen der Uniformierten.
»Ein Ehepaar – beim Wandern. Unser
Kommandant hat die beiden in den Buschenschank g’schickt. Sie sollen dort auf einen
Kriminalbeamten warten, der ihre Aussagen aufnimmt.«
»Das werden wir gleich übernehmen.
Die Kriminaltechniker müssten demnächst auch hier eintreffen. Ich schick sie dann
zu Ihnen herauf. Ach ja, ich leite diesen Einsatz übrigens. Berichten Sie das bitte
Ihrem Kommandanten«, sagte Sandra. Dann fielen ihr Pias Eltern ein. Sie hatte versprochen,
sie zu verständigen, sobald es etwas Neues gab. So sehr es ihr auch widerstrebte,
den beiden die grausame Nachricht zu überbringen, es würde ihr nicht erspart bleiben,
sie zu informieren, bevor sie womöglich mit Gerüchten konfrontiert wurden, die sich
gerade in ländlichen Regionen wie ein Lauffeuer verbreiteten. Dafür brauchte es
keine Medien.
»Mir ist schlecht …«, unterbrach Miriam ihre Gedanken.
Als Nächstes hörte Sandra, wie sich
die junge Kollegin hinter ihrem Rücken im Weingarten übergab. Sie wandte sich um
und reichte ihr ein Taschentuch. »Geht’s wieder?«
Miriam nickte. Ihre vorhin noch
rote Gesichtsfarbe mutete auf einmal fast ebenso fahl an wie jene der Leiche. »Komm,
lass uns hinuntergehen. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Wir treffen uns
dann im Buschenschank, okay?«, meinte Sandra.
»Ja …, tut mir voll leid, Sandra«, meinte
Miriam zerknirscht.
»Ach, Mädchen. Das war deine erste
richtige Leiche. Das ist halt etwas anderes, als bei Sektionen zuzusehen oder Fotos
anzuschauen. Ist doch nicht weiter schlimm.« Ganz so abgebrüht, wie sie immer tat,
war die junge Kollegin also doch nicht. Sandra wollte sich gar nicht ausmalen, wie
es Miriam ergangen wäre, hätte sie die tote Valentina Trimmel am Schauplatz der
Pfählung zu Gesicht bekommen und nicht nur auf den Polizeifotos. Alleine der Geruch
der aufgespießten Leiche hätte sie vermutlich längerfristig traumatisiert.
Sandra ging voraus und verwarf den
Gedanken wieder, Pias Vater gleich zu benachrichtigen, wie sie es ihm vorhin versprochen
hatte. Sie wollte nicht riskieren, dass der Mann im Schock einen Verkehrsunfall
verursachte. Die Eltern würden ohnehin bald nach Hause kommen. Dann würde sie ihnen
die Nachricht von Angesicht zu Angesicht überbringen. Auch wenn dies nichts mehr
am Tod ihrer Tochter änderte, so war es doch weitaus menschlicher, ihnen persönlich
gegenüberzutreten. Wie sehr sie diese Aufgabe hasste! Sandra blieb stehen und drehte
sich noch einmal nach Miriam um, die einige Schritte hinter ihr hertrottete. »Kannst
du bitte den psychosozialen Notdienst verständigen? Die sollen sich um die Eltern
von Pia kümmern«, sagte sie laut.
Der alte Fürnpass saß noch immer auf der Bank, als Sandra den Gastgarten
erreichte. Inzwischen war ihm der Steirerhut ins Gesicht gerutscht und er schnarchte
lautstark vor sich hin. Sandra betrat den Buschenschank und grüßte in den Raum hinein,
der für jemanden, der aus dem Sonnenlicht kam, durch die dunkle Holzdecke
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