Steirerherz
junge Frau! Ich versteh’ Sie sonst ned!«, schepperte
die Stimme des Mannes.
»Kriminalpolizei!«,
rief Sandra ihm zu. »Wissen Sie, wo sich unsere Kollegen befinden?«
Der Mann versuchte
sich mühsam an seinem Gehstock hochzuziehen.
»Bleiben S’
ruhig sitzen!« Sandra wollte schon weitergehen, als ihr klar wurde, dass sie es
gar nicht mehr besonders eilig hatten. Die unbekannte Frau war tot, hatte der uniformierte
Kollege gesagt. Auch wenn sie nicht glaubte, dass diese noch lang unbekannt bleiben
würde.
»Gengan S’
nur weiter! Dort umi und auf’n Berg aufi! Was suachts denn auf einmal alle da ob’n?«,
bellte der Alte, der inzwischen, auf seinen Stock gestützt, auf wackeligen Beinen
stand. Er schien also nichts davon mitbekommen zu haben, was im Weingarten der Familie
vorgefallen war.
»Danke! Wir
finden den Weg auf den Weinberg schon!«, schrie Sandra ihn an. »Setzen Sie sich
am besten wieder hin, Herr Fürnpass! Nicht, dass Sie am End’ noch hinfallen!«
»Kennen wir uns leicht, schöne Frau?«
Der Alte fletschte sein Krankenkassengebiss.
Sandra winkte ab, dann waren sie
und Miriam um die nächste Ecke verschwunden. Von hier aus führte ein schmaler Wanderweg
direkt durch den Weingarten hinauf in den Wald. Kurz vor dem höchsten Punkt des
Weinbergs – an die 300 Meter von ihnen entfernt – erspähte Sandra die uniformierten
Kollegen, die zwischen den Rebstöcken den Leichenfundort absicherten. Eine zweite
Vogelscheuche war von hier aus nicht zu erkennen. Sandra atmete kurz durch, bevor
sie den steilen Pfad hinaufhetzte. Miriam schnaufte hinter ihr her.
»Stopp! Polizei! Kehren Sie sofort
um!«, rief ihnen einer der Polizisten durchs Megafon zu, nachdem er die beiden Frauen
auf halbem Weg wahrgenommen hatte.
»L – K – A!«, schrie Sandra aus
voller Kehle zurück, ohne ihre Geschwindigkeit zu drosseln. Offenbar hatte der Kollege
sie verstanden, denn er ließ das Megafon sinken und winkte sie zu sich herauf. Sandra
wandte sich kurz nach Miriam um, die inzwischen um einige Meter zurückgefallen war.
Die junge Kollegin griff sich an die Seite. Was halfen ihr die Gazellenbeine, wenn
sie keine Kondition hat?, überlegte Sandra. Miriam schien alles andere als fit zu
sein. Das musste sich dringend ändern, wenn sie ihren Dienst an der Front anstatt
am Schreibtisch versehen wollte. Sandra schnaufte kurz durch, als sie oben ankam.
Auf Miriam konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie zückte ihren Dienstausweis
und stellte sich vor, ohne den örtlichen Polizeikommandanten dabei anzusehen. Stattdessen
haftete ihr Blick auf den nackten Frauenbeinen, die hinter den Rebstöcken hervorlugten.
Viel mehr war von hier aus nicht zu erkennen.
»Der Notarzt kann nix mehr für die
Frau tun. Gehn S’ dort umi! Da gibt’s mehr zu sehen von ihr«, meinte der Uniformierte
und deutete Sandra, wieder ein Stück zurückzugehen und dann rechts den horizontalen
Weg einzuschlagen. Warum hat er das nicht gleich gesagt?, ärgerte sie sich und machte
auf dem Absatz kehrt. An jener Abzweigung, die näher an die Leiche heranführte,
begegnete sie Miriam, die inzwischen völlig außer Puste war. Ihr sonst so makelloses
Gesicht war von der Anstrengung rot angelaufen. »Hier entlang«, sprach Sandra sie
an und ging erneut voraus. Vom Polizeiabsperrband aus konnte sie bereits erkennen,
dass sie mit ihrer Vermutung zumindest teilweise recht gehabt hatte. Der leblose
Körper, der zwischen zwei Rebstockreihen lag, gehörte der vermissten Winzertochter.
Vom befürchteten Zaunpfahl im Leib war jedoch nichts zu entdecken. Überhaupt war
hier offensichtlich mehr Traubensaft als Blut geflossen, stellte Sandra beinahe
erleichtert fest. Obgleich es an der Tatsache, dass Pia Fürnpass tot war, nichts
mehr änderte. Auf und um den Leichnam häuften sich Blaue Wildbacher-Reben, aus denen
der für die Region typische Schilcher gekeltert wurde. Wenn man von der Toten einmal
absah, wirkte die Szene wie ein kunstvoll arrangiertes Stilleben. Den blonden Schopf
umrankte ein Kranz aus Rebenholz und Weinblättern, was Sandra an eine steirische
Weinkönigin erinnerte. Auffällig waren auch die Hände, die der Täter dem Opfer vor
der Brust gefaltet haben musste, um den Eindruck zu erwecken, als würde es beten.
Dafür hatte er die Handgelenke mit breitem, schwarzem Klebeband aneinandergebunden.
Fallanalytisch betrachtet, war diese Geste als emotionale Wiedergutmachung zu deuten,
die zudem für eine innige Opfer-/Täterbeziehung sprach. Sandra
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