Steirerkind
Versuch des Chefinspektors, vor dem Friseursalon in der Salzburger Straße aus dem Wagen zu steigen, sah nicht nur jämmerlich aus, er scheiterte auch kläglich. Sandras Bemühungen, ihrem drahtigen, 1,83 Meter großen Partner vom Gehsteig aus vom Sitz zu helfen, misslangen ebenfalls. Die Schmerzen seien viel zu stark, klagte Bergmann, und war sich nun sicher, einen Bandscheibenvorfall erlitten zu haben.
»Unsinn. Das ist bestimmt nur ein Hexenschuss«, versuchte Sandra ihn zu beruhigen. »Bleib du einfach hier sitzen«, schlug sie ihm vor. »Ich knöpf mir Fitzner allein vor. Anschließend hol ich dir was aus der Apotheke gegen die Schmerzen. So ein Wärmepflaster wirkt Wunder. Dabei ist nur Cayennepfeffer drin … Das wird schon wieder, Sascha«, tröstete sie ihn.
»Mach schnell«, erwiderte Bergmann, als läge er im Sterben.
»Ich lass den Schlüssel stecken, falls dir kalt wird.« Sandra warf die Beifahrertür ins Schloss und wandte sich dem Friseursalon zu. Obwohl sie aus eigener Erfahrung wusste, wie heftig Rückenschmerzen sein konnten, und Bergmann ihr leidtat, musste sie über seine offen zur Schau getragene Wehleidigkeit schmunzeln. Und wenn er noch so lange hier lebte, ein Steirer würde aus dem Wiener Weichei niemals werden.
Sandra betrat den schicken Friseursalon. Alles hier war weiß, so weit das Auge reichte: die Wände, der glänzende Fliesenboden, die Regale, der Empfangstisch und die Ablagen unter den schlichten Spiegeln, die fast bis zur ebenfalls weiß gestrichenen Stuckdecke reichten. Nur die Stühle, von denen die meisten besetzt waren, und die Wand hinter der Rezeption waren in dunklem Violett gehalten.
Die Angestellten und der Chef selbst trugen weiße Sneakers, weiße Jeans und ebenso weiße Shirts, auf denen das violette Firmenlogo prangte, die Kundinnen knielange, violette Umhänge mit demselben Logo in Weiß. Um Gregor Fitzners Hals war ein – wie konnte es anders sein? – violetter Schal geschlungen. Hier war alles strikt dem Corporate Design untergeordnet, was zweifellos einen edlen, wenn auch unterkühlten Eindruck hinterließ, der sich vermutlich in der Preisgestaltung niederschlug. Aber Sandra war nicht zum Haareschneiden oder Stylen hergekommen, obwohl dies längst wieder einmal fällig gewesen wäre. Ihre hellbraunen Haare, die sie am liebsten halblang trug, reichten inzwischen über die Schultern. Was allerdings kaum jemand bemerkte, zumal sie ihre relativ feinen Haare aus praktischen Gründen selten offen trug.
Gregor Fitzner sah Sandra im Spiegel auf sich zukommen. Der Meister hielt mit dem Haareschneiden inne und wandte sich von seiner frisch gemeschten Kundin ab, um sich der Kriminalbeamtin zuzuwenden.
»Sie hier? Das ist jetzt aber nicht besonders günstig«, begrüßte er sie im diskreten Flüsterton.
»Das mag sein, Herr Fitzner. Aber daran sind Sie selber schuld. Ihr Alibi ist geplatzt … Sie haben uns angelogen.«
Gregor Fitzner schluckte.
»Ich bin gleich wieder bei Ihnen«, sagte er und setzte sich zügig in Bewegung.
»Moment mal!«, rief Sandra ihm hinterher. Dass sie damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog, war ihr egal.
Fitzner war inzwischen beim Empfangstisch angekommen und strebte immer schneller auf eine der beiden Türen im hinteren Bereich des Salons zu.
»Bleiben Sie stehen, Herr Fitzner!«
Der Figaro reagierte nicht.
Sandra zog ihre Dienstwaffe und lief los. Einige der Damen kreischten auf. Dass ihr alle Blicke folgten, bemerkte Sandra nicht mehr. Gregor Fitzner hatte ihr soeben die Tür vor der Nase zugeworfen und versperrt.
»Scheiße«, zischte sie. Es war gar nicht daran zu denken, die schwere Feuertür aufzutreten. »Wo führt diese Tür hin?«, rief sie der Frisörin mit dem leuchtend roten Haarschopf, die ihr am nächsten stand, zu.
»Ins Lager«, antwortete die Frau.
»Gibt’s eine Hintertür?«
Die Frisörin nickte, den Blick noch immer auf die Pistole gerichtet. Sandra blieb keine Zeit, um sich auszuweisen.
»Keine Panik«, sagte sie. »Ich bin vom LKA. Wo führt die Hintertür hin? So reden Sie schon!«
»In den Hof!«, rief eine schwarzhaarige Frisörin.
»Zum Parkplatz«, stammelte die Rothaarige ergänzend.
Sandra erinnerte sich an die Einfahrt direkt neben dem Salon. Wenn Fitzner flüchten wollte, musste er höchstwahrscheinlich dort durch. So schnell sie konnte rannte sie aus dem Laden, die Waffe noch immer in ihrer Hand.
Als sie hinaustrat, hörte sie einen Motor aufheulen.
»Vorsicht!
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