Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
brennenden Dachstuhls ausweichen musste, stellten wir ein Möbelstück nach dem anderen mitten auf die Straße. Jeder half jedem. Und so schaffte auch die Familie von der ersten Etage, ihre Möbel aus dem brennenden Haus zu holen. Aus den Nachbarhäusern trugen die Bewohner ebenfalls ihr Hab und Gut auf die Straße.
In den Häusern loderten noch vereinzelte Brände, als der Hausrat der meisten Leute in Sicherheit gebracht worden war. Traurig schaute ich mich um. Unser Nachbarhaus mit der Nummer dreizehn war verschont geblieben. Vom Haus mit der Nummer fünfzehn war der Anbau abgebrannt. Das Haus daneben mit der Nummer siebzehn war ebenfalls ausgebrannt.
Der Luftschutzwart sagte meinem Vater, dass wir in eine Wohnung des Hauses Nummer zwölf, gegenüber unserer alten Wohnung, provisorisch einziehen sollten. Dort waren zwar die vierte und dritte Etage ausgebrannt, doch eine Wohnung im Erdgeschoß stand seit einiger Zeit leer.
So schleppten wir nach und nach den Hausrat, den wir gerettet hatten, in die andere Wohnung. Als wir damit fertig waren, betrachtete ich das Haus, in dem wir bis jetzt gelebt hatten. Nur die Außenmauern und das Treppenhaus waren stehengeblieben. Die Holztreppen des Treppenhauses waren komplett verbrannt. Nur die Eisenkonstruktion der Stufen war übrig. Die Decken und Fußböden waren eingestürzt. Es war ein trauriger Anblick, die meisten Häuser meiner Wohn- und Spielstraße zerstört zu sehen.
Nach und nach haben die Bewohner sich irgendwie in dem noch vorhandenen Wohnraum eingerichtet.
Mein Vater hatte von irgendwoher Pappe organisiert, die er unter die Decke unserer neuen Bleibe nagelte, damit der Putz nicht runter fällt. Notdürftig hatte er mit dünnem Draht versetztes Glas vor den Fenstern befestigt, das er von irgendwo her besorgt hatte.
Mit der Zeit schippten die Menschen einen schmalen Gehweg durch die Trümmer, die auf der Straße lagen.
Nach einigen Tagen kamen die Anwohner der ausgebrannten Häuser Nummer vierzehn und sechzehn noch einmal zurück, um nicht zerstörten Hausrat zu suchen. Sie erlaubten, dass meine Spielkameraden und ich in die Keller der zerstörten Häuser klettern durften. So suchten wir in den Kellerräumen nach brauchbaren Gegenständen und fanden wahre Schätze, wie zum Beispiel eingekochtes Obst und Gemüse und einige Konserven sowie Kohlen und Briketts als Brennmaterial für unseren Ofen.
Dass wir uns in großer Gefahr befanden, war mir nicht bewusst. Als ich später zur Kinderlandverschickung im Erzgebirge war, schrieb mir meine Mutter in einem Brief, dass der dreijährige Sohn eines Mitbewohners mit seinen Geschwistern und anderen Kindern in den Kellerräumen der Trümmerhäuser Verstecken gespielt hatte. Dabei ist eine Mauer eingestürzt und hat den kleinen Jungen unter sich begraben. Das fand ich sehr traurig. Ich mochte den niedlichen Kerl.
UT-Ware
Einige Tage vor Beginn des zweiten Weltkrieges wurden in Deutschland Lebensmittelmarken und etwas später Reichskleiderkarten ausgegeben. Das bedeutete, dass man kaum verfügbare Lebensmittel nur dann erhielt, wenn man die entsprechenden Lebensmittelkartenabschnitte, also die Marken, abgeben konnte. Selbstverständlich musste man für die Ware auch die verlangte Kaufsumme bezahlen. Die Lebensmittelkarte war in unterschiedliche Marken eingeteilt. Beispielsweise konnte man mit Brotmarken nur Brot kaufen, doch mit Fleischmarken auch Fisch.
Die entsprechenden Lebensmittel konnte man natürlich nur kaufen, sofern sie zur Verfügung standen.
Man kann verstehen, dass mit den Marken auf dem Schwarzmarkt ein reger Tauschhandel betrieben wurde.
Es prägte sich der Ausdruck UT-Ware. Das bedeutete Unter der Theke.
Wenn es zum Beispiel den Aufruf gab, Lebensmittelkarten für Brot mit der Nummer 3019 können an einem bestimmten Tag eingelöst werden, haben wir in der Familie geklärt, wer sich als erster beim Bäcker anstellt. Oft stand ich um fünf Uhr in der Früh ziemlich müdevor einem Geschäft in der Warteschlange. Kurz bevor ich zur Schule musste, wurde ich von einem meiner Geschwister abgelöst, die später zur Schule mussten oder von meinem Vater.
Trotzdem haben wir nicht immer etwas bekommen.
Die Leute, die einen guten Kontakt zum Geschäftsinhaber hatten, mussten sich nämlich nicht anstellen. Die gaben ihre Marken vorher ab und die entsprechenden Lebensmittel wurden zurückgelegt und als UT-Ware übergeben. Schwangere mussten sich ebenfalls nicht anstellen.
Wenn es kein Brot mehr gab, dann hatten
Weitere Kostenlose Bücher