Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
kein seltenes Bild. Weinende Kinder im Zug, weinende Mütterauf dem Bahnsteig und unzählige mit Taschentüchern winkende Hände.
Während der lang andauernden Reise nach Leipzig mussten wir hungern. Es gab weder zu essen noch zu trinken. Derweil wurde die Landschaft immer winterlicher und der Schnee immer höher. Endlich in Leipzig angekommen, empfing uns eine ungefähr sechzig Zentimeter hohe Schneepracht.
Bekleidet nur mit kurzen Hosen, da es bei der Abreise in Düsseldorf noch warm war, stiegen wir aus dem Zug.
Von dort aus ging die Fahrt nach Seiffen mit einem Bus weiter. Der Schnee lag immer höher. Die ersten frierenden Kinder fingen an zu jammern. Schließlich beklagten wir uns alle, weil wir keine langen Hosen dabei hatten.
Der Lehrer beruhigte uns, da wir bei Ankunft unsere Winteruniformen bekommen sollten.
Etwas außerhalb von Seiffen stoppte der Bus vor einem gepflegten Gasthaus. Wir stiegen aus und betraten das für unsere Zwecke umfunktionierte Gasthaus Saxonia, das nun für einige Zeit unser Zuhause sein sollte.
© Kunstverlag A. & R. Adam, Dresden
Wir bekamen unsere Stuben, also unsere Zimmer, zugewiesen und richteten uns ein. Mit sechs Jungen teilten wir uns einen Raum, wie in einer Jugendherberge. Die vier Stuben im Haus trugen Namen von hochrangigen Militärs: Mölders, Galland, Rommel und Prien. Wir schliefen in Etagenbetten auf Stroh, über das eine Decke gelegt war.
Aus dem Ort Sayda erreichte uns die schlechte Nachricht, dass lange Hosen noch nicht verfügbar waren. Auch nicht die schwarzen, dicken Winterblusen, die über dem Koppel getragen wurden und auch keine Wintermützen.
Nach mehreren Anfragen unseres Klassenlehrers bekamen wir nach ungefähr sechs Wochen die ersten Teile der Uniform. Ich erhielt endlich eine wärmende Winterbluse mit Kapuze.
Auf die Skihosen und auf die Wintermützen mit den herab klappbaren Ohrenwärmer mussten wir noch ein paar Tage warten.
Bald darauf konnten wir uns weiße Skier mit grünem Längsstreifen abholen. Damit sind wir zum Dorf und in die Schule gefahren. Auch während der Geländespiele bewegten wir uns auf Skiern.
Übermut tut selten gut
Ein Winter im Erzgebirge ist etwas ganz Besonderes. Wenn meterhoher Schnee die bergige Landschaft bedeckte und die Sonnenstrahlen die Schneekristalle wie Millionen Diamanten glitzern ließ, konnte ich fast vergessen, warum ich hier war.
Am Abend eines so großartigen Tages veranstaltete unser Lagermannschaftsführer mal wieder ein Geländespiel. Alle, außer den Jungen im Krankenzimmer, mussten daran teilnehmen.
Der Lagermannschaftsführer teilte uns in zwei Gruppen ein.Zwei Stuben spielten die Jäger und zwei Stuben die Gejagten. Ich war in der Gruppe der Jäger.
Wir haben uns mit weißen Nachthemden und mit weißen Handtüchern, die wir um die Skimützen wickelten, getarnt. Im Schnee waren wir kaum zu erkennen. Zur Unterscheidung trugen wir unterschiedliche Armbänder.
Bei diesen Spielen hatten wir meistens jede Menge Spaß. Eine Gefangennahme eines Gegners endete oft mit einer wilden, ausgelassenen Rauferei.
Gewöhnlich wurde der Gegner durch den Schnee gewälzt, ihm das Nachthemd vom Leib gezogen und das Handtuch vom Kopf gerissen.
Die Gruppen machten sich also bereit und ein jeder schnallte sich die Skier unter die Füße. Der Lagermannschaftsführer gab das Startzeichen. Die Gruppe der Gejagten startete links am Gasthaus vorbei und die Jäger rechts davon. Die Gejagten durften sich ausschließlich in einem vorgegebenen, weiträumigen Gebiet aufhalten und verstecken.
Wir rauschten los. Die Gejagten zogen sofort links rüber. Nach einer kurzen Strecke verschmolzen sie mit der weißen Landschaft und waren nicht mehr zu erkennen.
Unsere Aufgabe war es nun, die Gejagten innerhalb einer vorgegebenen Zeit ausfindig zu machen und zu fangen. Jeder, den wir gefangen nahmen, wurde in unsere Gruppe integriert und musste uns begleiten. Sollten wir niemanden in der angegebenen Zeit finden, hätten die anderen gewonnen.
Wir fuhren in dieselbe Richtung, in der wir die Gegner haben verschwinden sehen. Wir versuchten, uns an den Spuren zu orientieren, doch es gab zu viele davon. Wir fuhren schließlich morgens auch auf den Skiern zur Schule und mittags wieder zurück, so dass die Skispuren kreuz und quer durcheinander liefen.
Wir stießen auf die geräumte Hauptstraße und glitten neben ihr auf dem hoch aufgetürmten Schnee. Von hier aus hatte man eine gute Aussicht. Ein dürftig vom Schnee befreiter Feldweg,
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