Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
bevor stand.
Plötzlich ging das Radio aus.
Wir hörten die ersten schweren Detonationen, die einen heftigen, laut zischenden Luftzug durch die Mauerdurchbrüche zwischen den Kellern der Häuser verursachten: Zzzsch!
Mein Vater und ich hockten uns hin. Ich hielt meine Hände über dem Kopf, als der Boden so stark wackelte, wie ich mir ein Erdbeben vorstellte. Durch die Luftzüge sind die Kerzen erloschen. Es brannte nur noch die Petroleumlampe. Als dieser Angriff vorüber war, blieb es einen kurzen Moment ruhig. Ich hörte das Schluchzen meiner Schwestern.
Aus dem Nachbarkeller rief jemand: „Habt ihr noch Licht?“
Mein Vater antwortete: „Eine Petroleumlampe brennt noch!“
Dann schrie ein anderer Mann aus dem Nachbarkeller: „Passt auf, es geht gleich wieder los. Duckt euch.“
Ich vernahm noch von irgendwem die Frage: „Ist die Tür richtig zu?“, und dann ging es auch schon wieder los. Ich hörte und fühlte den Luftzug der Explosionen, die immer lauter wurden, also immer näher kamen.
Dann wurde der Keller durch eine enorme Detonation erschüttert. Der Glaszylinder der Petroleumlampe sprang aus der Fassung und schlug klirrend auf dem Boden auf.
Mein Vater schrie: „Alle halten die Hände über den Kopf!“
Meine Mutter beugte sich schützend über meinen kleinen Bruder, den sie immer noch auf dem Arm hielt und der herzzerreißend weinte.
Dann kreischte der ersten Nachbar: „Unser Haus ist getroffen! Oben brennt es!“
Ich dachte ‚Jetzt ist es soweit. Nun wird uns das Haus auf den Kopf fallen und wir werden alle sterben.‘
In diesem hysterischen Durcheinander öffnete sich die schwere Eisentür zu unserem Keller und Georg Plum, der zuständige Luftschutzwart, steckte den Kopf zur Tür hinein.
Luftschutzwarte, die vom Reichsluftschutzbund ausgebildet wurden, arbeiteten ehrenamtlich und waren für die Einhaltung der Luftschutzbestimmungen verantwortlich. Dazu gehörte auch die Überwachung der Verdunkelung der Fenster, für die jeder Bewohner ein schwarzes Rollo an jedem Fenster befestigt haben musste. Selbst wenn kein Angriff bevor stand, durfte dem Feind nie die Gelegenheit gegeben werden, ein beleuchtetes Fenster von oben erkennen zu können.
So hörte man ihn bei seinen Rundgängen öfter durch die nächtlichen Straßen schreien: „Haus Nummer siebzehn, zweite Etage bei Koch! Bitte Fenster links besser verdunkeln!“
Selbst mit Plakaten wurde darauf hingewiesen.
© Bundesarchiv Plakat 101I-738-0276-06A Grafiker Sander-Herweg, Otto
Er bestätigte, dass die meisten Häuser unserer kleinen Straße getroffen waren und die Dachstühle brannten. Wir sollten aber erst einmal im Keller bleiben, hier würde so schnell nichts passieren.
Durch das Dach unseres Hauses war eine Stabbrandbombe geschlagen und der Dachstuhl brannte nun lichterloh.
Die Wassereimer und Sprühkanister, die nach Vorschrift auf jeder Etage standen, konnten jetzt nicht eingesetzt werden. Da immer noch Bomben auf unser Stadtviertel abgeworfen wurden, verbot uns der Luftschutzwart, den Keller zu verlassen. Dann war er auch schon wieder weg und verschloss die schwere Tür hinter sich. Obwohl die Explosionen noch immer die Grundmauern der Häuser erschütterten, und ich wieder meine Hände über dem Kopf zusammen hielt, hoffte ich, dass alles gut wird. Herr Plum hatte schließlich gesagt, dass im Keller nicht so schnell etwas passieren wird.
Die gesamte Bombardierung dauerte ungefähr viereinhalb Stunden. Endlich ertönte der langgezogene Heulton der Entwarnung.
Wir verließen alle den Keller und liefen auf die Straße. Auch die Menschen der Nachbarhäuser kamen auf die Straße. Nun war das Ausmaß der Bombardierung sichtbar. Fast alle Häuser in der Straße brannten. Leider war auch unser Haus getroffen worden und der Dachstuhl brannte lichterloh. Der Himmel in der Morgendämmerung war von den Flammen hell erleuchtet. Ich begriff, dass es aussichtlos wäre, diese Brände bekämpfen zu wollen. Womit auch? Einige Häuser brannten heftiger als anderen. Die waren wohl öfter und wahrscheinlich nicht nur von Stabbrandbomben, sondern auch von Phosphorbomben getroffen worden.
In diesem Inferno zwischen wütenden Flammen, einer gewaltigen Hitzeentwicklung und herabfallenden brennenden Balken der Dachstühle, begann mein Vater mit Hilfe einiger Nachbarn unsere Möbel aus der Wohnung zu holen. Unaufgefordert half ich ebenfalls mit. Immer den Blick nach oben gerichtet, ob man vielleicht einem herabstürzenden Stück des
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