Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
befanden, gemeinsam veranstaltet. Wir absolvierten alle Arten der Leichtathletik, so wie man das heute noch kennt. Einmal gab es eine Besonderheit: An einem Spätsommertag 1944 liefen wir eine Marathonstrecke.
Los ging es in Seiffen, über Deutscheinsiedel, dort über die tschechische Grenze nach Böhmisch Einsiedel bis nach Brünn (heute Brüx) und wieder zurück.
© Kunstverlag A. & R. Adam, Dresden
Doch die Besonderheit lag nicht an dem Marathonlauf, sondern an einer ungewöhnlichen Pause, die wir unterwegs eingelegt hatten. In Seiffen wuchsen keine Obstbäume; zumindest habe ich nie welche gesehen. Ich lief in einer kleinen Gruppe an der Spitze des Feldes. Als wir nun nach Tschechien reinkamen, rannten wir an einem Bauernhof vorbei, zu dem eine riesige Obstwiese gehörte. Unzählige Apfel- und Birnbäume wuchsen darauf und trugen die herrlichsten,reifen Früchte. Ich habe mich kurz mit den anderen verständigt und wir beschlossen, auf dem Rückweg schnell einige Früchte zu pflücken.
Nach dem Wendepunkt in Brünn kamen wir also irgendwann wieder an der Obstwiese vorbei.
Da wir noch unsere kurzen Sporthosen trugen, haben wir uns die langen Trainingshosen ausgezogen, die Hosenbeine mit zwei Knoten zusammengebunden, um dann den Bauch und das Hinterteil der Hosen mit Obst zu füllen.
Kurz nach allen Seiten umgeschaut, ob uns jemand beobachtet, haben wir uns ohne zu zögern über die Obstbäume hergemacht und uns in Windeseile die selbst gebastelten Hosen-Taschen vollgestopft. Trotz der schweren, süßen Last, die wir über unseren Schultern trugen, waren wir vier die einzigen, die den Marathonlauf erfolgreich absolvierten. Das Obst haben wir selbstverständlich mit den anderen Kindern im Lager Saxonia geteilt.
© Peter Wolf
Quark an die Decke schießen
Eine Spezialität im Erzgebirge waren Kartoffeln, die mit der Schale zu weichen Pellkartoffeln gekocht wurden. Dazu gab es herzhaften Quark. Die Kartoffeln und der Quark waren großzügig mit Kümmel bestreut. Die meisten von uns konnten den Geschmack von Kümmel jedoch nicht ausstehen.
Als wir das Gericht zum ersten Mal vorgesetzt bekamen, aßen wir mit langen Zähnen.
Wir haben unserem Lagermannschaftsführer gesagt, dass wir Kümmel nicht mögen und wir dieses Essen beim nächsten Mal lieber ohne das unangenehme Gewürz möchten.
Wahrscheinlich hat er uns nicht ernst genommen. Auf unsere Bitte wurde überhaupt keine Rücksicht genommen.
Denn beim nächsten Mal gab es das Gericht genauso wie beim ersten Mal – mit ganz viel Kümmel.
Wieder zwang ich mir, wie auch die meisten anderen, das Essen irgendwie rein.
Als wir das gleiche Gericht einige Zeit später wieder mit viel Kümmel vorgesetzt bekamen, haben wir während des Essens unsere Nachtischlöffel genommen und damit in einem unbeobachteten Moment den Quark an die Decke geschossen.
Genutzt hat das aber auch nichts. Wir haben trotzdem immer wieder die leckeren Kartoffeln und den Quark mit viel Kümmel bekommen. Irgendwer hat die von uns lustig fabrizierte Schweinerei dann jedes Mal von der Decke abgekratzt, da die wahren Übeltäter nie erwischt wurden.
© Peter Wolf
Flucht aus dem Erzgebirge
Im Januar 1945, als die russische Armee der Deutschen Reichsgrenze bei der Tschechischen Republik sehr nahe war, haben wir zu viert, nämlich Werner, Otto, Jö und ich, beschlossen, aus dem KLV-Lager abzuhauen. Seit Tagen hörten wir den Kriegslärm der immer näher kommenden Front. Die Schüsse und die Detonationen hallten durch die Landschaft. Die anderen Jungen aus unserer Klasse kannten unseren Plan, doch sie hatten aus Angst vor Bestrafung keinen Mut mitzukommen.
Zuerst haben wir uns gleich nach der Schule mit Essbarem und Lebensmittelmarken versorgt. Dazu sind wir mit mehreren Jungen in den kleinen Tante Emma Laden gegangen, der zum Gasthaus Saxonia gehörte. Ein paar von uns haben etwas gekauft, um die Verkäuferin abzulenken. Eine anderer hat Honig gemopst und ichhabe aus einer Zigarrenkiste Lebensmittelmarken stibitzt, damit wir sie unterwegs einlösen konnten.
© Kunstverlag A. & R. Adam, Dresden
Nach dem Mittagessen sind wir vier die paar Kilometer durch den Wald zum Bahnhof gelaufen, um uns auf dem Abfahrtsplan zu informieren, wann der erste Zug nach Dresden fährt. Doch leider fuhr zu der frühen Stunde nur der Zug nach Leipzig. Also beschlossen wir mit diesem Zug zu fahren.
Am Nachmittag wurde ein Geländespiel veranstaltet, bei dem wir alle mitmachen mussten.
Als ich am Abend den
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