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Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me

Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me

Titel: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gutkin
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Zapfenstreich auf meiner Fanfare blies und die Flagge herunter gezogen wurde, wusste ich, dass dies mein letzter Zapfenstreich in diesem Lager war - wenn man uns nicht erwischen würde.
    In der Stube legten wir unsere Uniformen ab und stiegen in die Betten. Wir waren sehr aufgeregt und an Schlaf war nicht zu denken. Gegen vier Uhr in der Früh krabbelten wir aus unseren Betten. Die Metallspinde für unsere Zivilbekleidung standen auf dem Flur. Um jeden Krach zu vermeiden, zogen wir unsere Uniformen wieder an. Das heißt, eigentlich nur die halbe Uniform: lange Hose, Braunhemd, Strümpfe, Schuhe.
    Wir schlichen uns aus dem Haus. Mein Herz klopfte bis zum Hals und ich dachte, dass die anderen davon wach würden.
    Im Schutz der Dunkelheit liefen wir erneut zu dem kleinen Bahnhof quer durch den Wald. Es lag noch eine dünne Schneeschicht auf dem Boden und ich machte mir Gedanken darüber, dass man uns anhand unserer Fußspuren leicht verfolgen könnte.
    Wir versteckten uns neben dem Bahnhof und lauerten auf die Abfahrt des ersten Zuges. Gegen fünf Uhr rollte er los. Wir sprangen aus unserem Versteck, rannten zu dem Zug und sprangen auf den letzten Waggon, bevor der Zug schneller wurde. Das war der Arbeiterzug nach Leipzig. Wir kletterten zu viert in das Bremserhäuschen, das sich am Ende des letzten Eisenbahnwaggons befand und hockten uns auf den Boden. Das Bremserhäuschen ist ein kleiner, kastenförmiger erhöhter Wetterschutz, in dem sich die Bedieneinrichtung für eine manuell bediente Bremse befand.

    Bremserhaus © fanfan - Fotolia
    Die Fahrt ging mitten durch die Wälder des Erzgebirges. Es war eiskalt und wir froren sehr in unseren dünnen Sachen.
    Spätestens beim Wecken um sechs Uhr würde man uns vermissen. Wir haben überlegt, dass der Lagerleiter vermuten wird, dass wir in diesen Zug eingestiegen sind. Und dass er dann die Verantwortlichen in Leipzig informiert, um uns gleich wieder zurückzubringen. Also würden wir den Zug unterwegs irgendwo verlassen müssen. Der Morgen dämmerte schon, als wir an einem kleinen Bahnhof aus dem Bremserhäuschen gesprungen sind.
    Wir liefen in einen nahe gelegenen Wald und versteckten uns dort bis zum Abend.
    In der Abenddämmerung sahen wir aus der Ferne einen Zug herankommen. Wir liefen zurück bis an die Schienen. Der klapprige Zug rollte langsam in unsere Richtung. Die Lok mit dem Kohlewagen dahinter schnaufte gemütlich an uns vorbei, so dass ich auf dem Schild Dresden lesen konnte und wir bequem wieder auf den letzten der insgesamt fünf Waggons aufspringen konnten. Wieder hockten wir uns in das Bremserhäuschen.
    Irgendwann hatten wir die sechzig Kilometer von Seiffen bis Dresden ohne aufzufallen hinter uns gebracht.
    In Dresden wurde es gefährlich für uns, weil wir nur die halbe Uniform trugen. Also ohne Tuch, Knoten und Schulterriemen. Doch die meisten Menschen hatten genug eigene Probleme, als auf uns zu achten, und Uniformierten gingen wir aus dem Weg.
    Wir hatten Glück und konnten Dresden in einem Schnellzug verlassen, der Richtung Westen fuhr.
    In größeren Orten, wo wir nicht so auffielen, sind wir aus dem Zug gestiegen und haben mit den Lebensmittelmarken Essen und Trinken gekauft. Die Jungen, die im Lager geblieben sind, hatten für uns Geld gesammelt, womit wir nun bezahlen konnten. Dann mussten wir wieder auf einen Zug warten, der Richtung Westen fuhr.
    Was aus meinen zurückgebliebenen Klassenkameraden und unserem Lehrer geworden ist, habe ich nie erfahren. Ich habe sie jedenfalls nie mehr wiedergesehen.
    Ab Dresden sind wir in wechselnde Züge eingestiegen, die Richtung Westen fuhren.
    Das Umsteigen in einen anderen Zug geschah meistens auf Verdacht. Wir wussten nie genau, wann und wo wir einen anderen Zug besteigen konnten. An Bahnhöfen sind wir aus Sicherheitsgründen nicht mehr ausgestiegen, sondern nur noch auf freier Strecke, wenn das Signal für den Zug auf rot stand.
    Bis zum nächsten kleineren Dorfbahnhof gingen wir zu Fuß, um in einen von uns so genannten Bummelzug einzusteigen.
    Oft haben wir die Lokführer gefragt, ob wir in der Lok mitfahren dürfen. Und das durften wir meistens. Wenn der Heizer die Kohlen schippte, haben wir die Köpfe ein- und die Schultern hochgezogen, damit wir nichts abbekamen.
    So näherten wir uns stückweise dem Westen.
    Nach vier Tagen erreichten wir Kassel.
    Kassel ist von Dresden ungefähr dreihundertfünfzig Kilometer entfernt. Ein heutiger Autofahrer braucht bei gemütlicher Fahrt schätzungsweise vier

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