Stella Cadente - Niemals darf es sein
mitgemacht, hatte immer einfach nur dagelegen und darauf gewartet, dass es endlich vorüber war.
Doch mit Matteo war es anders gewesen. Der erste Rausch, wie eine Einstiegsdroge. Aber es war noch mehr gewesen.
Inzest.
Lili wollte gar nicht daran denken. Sie wusste nicht einmal, ob man sie für die Vorgänge an diesem Abend ins Gefängnis stecken konnte. Von dem mor alischen Standpunkt aus gesehen wäre ihr die gesellschaftliche Ächtung jedenfalls sicher. Niemand würde es verstehen.
Denn es war ein Tabu!
Aber war es das wirklich? Wie sicher konnte sie wissen, dass Matteos Vater, Paolo Vincelli, auch ihr Erzeuger war? War Paolo Vincelli nicht möglicherweise sogar ein häufiger Name in Italien, und die Tatsache, dass ihre Väter den gleichen Namen trugen, würde sich bald als ein schrecklicher Zufall herausstellen?
Lili versuchte, sich nichts vorzumachen. Ihre Mu tter hatte ihr gesagt, sie wäre ihrem Vater im Caffè Farfalla di Mare begegnet, eben dem Café, von dem Matteo selbst sagte, dass es einst das Lieblingscafé seines Vaters gewesen war. Damals sei er oft dort gewesen, hatte Matteo erzählt. Es passte alles zusammen!
Ihre Mutter hatte Lili ebenfalls gesagt, Paolo sei ein erfolgreicher Geschäftsmann. Obwohl Ann nicht mehr darüber wusste, traf doch eben dies auch auf Ma tteos Vater zu.
Lili konnte es drehen und wenden wie sie wollte, es änderte nichts an dem Ergebnis . Die Wahrscheinlichkeit war zu groß, dass Matteo Vincelli, der Mann, mit dem sie heftigen, leidenschaftlichen Sex gehabt hatte, ihr Bruder war. Das konnte sie einfach nicht ignorieren. Und dennoch, die bloße Erinnerung an seine Berührung ließ ihren Körper vor Erregung erbeben.
Unter ihrem Bett hörte Lili plötzlich etwas r ascheln, dann ein leises, hektisches Trippeln, und wieder ein Rascheln. Wenn sich jetzt auch noch Mäuse zu den unliebsamen Untermietern gereiht hatten, war es für Lili definitiv zu viel! Angeekelt zog sie die Arme noch enger um ihre Beine, um sich selbst ein sicheres Gefühl in dieser schutzlosen Welt zu geben.
Doch was konnte sie schon tun? Ein anderes Hotel würde sie sich nicht leisten können. Selbst diese me nschenunwürdige Unterkunft konnte sie nur wenige Tage bezahlen, bevor ihre gesamten Ersparnisse erschöpft waren.
Lili war nach Florenz gekommen, um ihren Vater zu finden, und das mö glichst schnell. Jetzt aber wurde ihr klar, wie naiv sie gewesen war, als sie dachte, ihr Geld würde dafür schon reichen.
Und wieder kam ihr Matteo in den Sinn. Sie wünschte sich, sie hätte ihm von Anfang an erzählt, dass sie i hren Vater suchte. Jetzt, da sie wusste, dass sein Vater ein vermögender Geschäftsmann war und sie mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Matteo lebte, wusste sie, wie die Wahrheit für ihn aussehen musste. Wenn ein Mädchen wie sie plötzlich auftauchte und behauptete, die Tochter eines reichen Mannes zu sein, dann lastete ihr immer der Verdacht an, es ginge ihr ums Geld. Da blieb es vollkommen gleichgültig, ob es die Wahrheit war oder nicht, Lili würde für den Rest ihres Lebens gebrandmarkt sein.
Geld machte diese ohnehin schwierige Situation vollkommen aussichtslos. Es machte es Lili unmö glich, Matteo die Wahrheit zu sagen – vorausgesetzt, sie sah ihn überhaupt jemals wieder.
Dieses verdammte Geld!
Erneut kamen ihr die kränkenden Worte von Glenn in den Sinn.
Damals mit Glenn war alles falsch gelaufen, was nur schieflaufen konnte. Lili begegnete ihm eines sp äten Abends in der Bar, in der sie bis vor kurzem noch arbeitete. Sie wollte nur einen Wein nach Feierabend trinken, als er sie ansprach.
Glenn Dexter.
Vermutlich wusste er nicht, dass Lili in der Bar arbeitete, denn sehr schnell signalisierte er Interesse an ihr, was ihr irgendwie schmeichelte. Glenn sah zweifellos gut aus, er war groß, hatte blonde Haare und blaue Augen, wenn auch nicht ganz ihr Typ. Trotzdem ließ sie sich auf seine Einladung ein. Das hatte jedoch nichts damit zu tun, dass es ihm anzusehen war, welchen hohen Lebensstandard er pflegte.
Lili ließ Glenn zunächst im Unklaren darüber, w oher sie kam und in welche finanziellen Verhältnisse sie geboren worden war. Sie fühlte sich unwohl mit der Wahrheit, und deshalb verschwieg sie diese vor Glenn. Es war keine direkte Lüge, doch jetzt, nach mehr als zwei Jahren, wusste Lili, dass sie ihm von Anfang an hätte gestehen müssen, dass sie wie eine arme Kirchenmaus lebte. Hätte es etwas geändert? Vermutlich nicht. Aber ihr wäre eine Menge
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