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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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sei, um einem alten Schulkameraden die letzte Ehre zu erweisen, was aber nun nicht möglich wäre, weil der Leichnam des Kameraden auf die Obduktion durch einen
    Rechtsmediziner warte.
    Mit wachsender Ungeduld hatte der Polizist zugehört, jetzt brach es aus ihm heraus: »Moment mal! Was wollen Sie? Eine Ehre erweisen?«
    Sehr schnell wurde mir klar, dass ich von dem Bullen, der auf Borussia stand, keine brauchbaren Auskünfte erwarten konnte.
    »Ja, Ehre erweisen, sagt man doch so«, bemerkte ich mit betont feierlicher Miene.
    »Nee, nee, Anzeige erstatten, sagt man.«
    »Ja, schon, aber in diesem Fall…?«
    »Was für ein Fall?« Er nahm den Zahnstocher aus dem Mund als Zeichen, dass es nun offiziell wurde. »Nun kommen Sie mal zur Sache, Herr…?«
    »Mogge, Elmar Mogge.«
    »Also, Herr Mogge. Anzeige, Beschwerde, Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung – wollen Sie einen Strafzettel bezahlen? Oder worum geht es?«
    »Um eine Salzleiche.«
    »Was geht Sie die… eine was?« Er schaute über meine Schulter, weil er wohl hinter mir eine versteckte Kamera vermutete. »Ach so, die Salzleiche meinen Sie – ha! –, nun, die ist für das Restaurant Im Wilden Mann bestimmt. Wir Soester, das wissen Sie bestimmt schon, wir sind ja Menschenfresser«, er kniff mir ein Auge. Offensichtlich wollte der Mann nicht als humorlos erscheinen. Dass Deutschland sich vom strengen, autoritären Land längst zur Spaßgesellschaft entwickelt hatte, war also bis in die Soester Börde vorgedrungen und da wollte niemand abseits stehen.
    Noch einmal zwinkerte mir der junge Beamte
    verschwörerisch zu, und als ich mich an der Tür umdrehte, hob er den Daumen. Alles klar, Spaß muss sein, wir sind auf einer Linie, du, närrischer Bürger, und wir, die Polizei, dein Freund und Helfer. Fehlte nur noch das Victory-Zeichen, das heute jeder, ob Politiker oder Pater, Sportler, Kiffer oder Kaffeetante in irgendeine imaginäre oder auch tatsächlich vorhandene Kamera hielt.
    Ich winkte zurück, drückte die Tür ins Schloss.
    Nach dem Kasernengeruch in der Polizeistelle wollte ich noch etwas frische Luft schnappen. Von der Wache am Osthofentor aus spazierte ich über den Nelmannwall. In der Ferne erblickte ich einen Mann mit Hund, dann kam mir eine Gruppe Jugendlicher entgegen. Kapuzenpullis, übergroße Hosen, die den schleppenden Gang alter Männer erzwangen, dazu schwere offene Schuhe, wie sie ihre Vorbilder trugen, die Rapper in den rauen Ecken von New York oder, was näher lag, die wirklich schlimmen Jungs im Knast von Werl, die bei ihrem Einzug in den Bunker außer den Hosengürteln auch ihre Schnürsenkel abgeben mussten. Provozierend, als gehörte ihnen der Wall, schlenderten die Halbwüchsigen auf mich zu, teilten sich im letzten Augeblick und gingen zu beiden Seiten hautnah an mir vorbei. Als ich mich umdrehte, klatschten sie sich in die erhobenen Handflächen, machten den Getto-Gruß, aber mit einem Grinsen im Gesicht.
    Soest war eben doch nicht die Bronx. War nicht einmal Duisburg-Marxloh, wo man bei ähnlicher Gelegenheit schon mal, ohne sich etwas zu vergeben, die Straßenseite wechseln sollte.
    Mild und klar war die Nacht. Durch die Zweige der Bäume über mir glitzerten die Sterne, inzwischen war auch der Mond aufgegangen und spendete zusätzliches Licht. Vor mir erhob sich die Sankt-Thoma-Kirche mit ihrem unverwechselbaren schiefen Turm, der nicht umzufallen drohte, sondern, das wusste ich noch aus der Schule, absichtlich so krumm gebaut worden war, damit er sich gegen die starken Westwinde behaupten konnte.
    Im Moment war es windstill, kein Lüftchen wehte, weder aus West noch Ost noch sonst woher, herrlich ruhig war es.
    Bis auf ein leises Surren, das sich näherte und mich aus meinen Gedanken schreckte. Ich drehte mich kurz um. Zwei Radfahrer, aber kein Licht. Einer der Männer überholte mich, lehnte sein Rad an einen der mächtigen Kastanienbäume, die ein regelrechtes Dach bildeten, und begann an seiner Hose zu fummeln. Als ich auf einer Höhe mit ihm war, drehte er sich um. Der Mann hatte einen dieser albernen Harthelme auf, trug enge, auffällige Radlerklamotten, andererseits aber einen Schal, der zu einem großen Teil sein Gesicht verdeckte.
    Der Hockeyschläger, den er auf dem Gepäckträger seines Rads festgezurrt hatte, fiel mir erst jetzt auf. Felgenbremsen quietschten, der zweite Fahrer hielt unmittelbar hinter mir. Ich ahnte, was nun kommen würde.
    »Sie sind ziemlich neugierig«, begann der erste, indem er auf

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