Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
Vom Netzwerk:
einer Pfarrerswitwe hatte das evangelische Studienwerk ein mageres Stipendium für das Studium der Kirchenmusik spendiert. Torat ergriff die Gelegenheit beim Schopf, endlich bei seiner Mutter auszuziehen, und ging nach Tübingen. Dort begann er, neben den kirchenmusikalischen Veranstaltungen auch BWL-Vorlesungen zu besuchen. Die Kirchenmusik war zwar keine ganz brotlose Kunst, aber eine Karriere in der Wirtschaft hätte er klar vorgezogen. Die Unternehmen zahlten besser als die Kirche. Leider musste Torat schnell feststellen, dass er kein Hirn für Statistik und Kostenrechnung, Bilanzierung und solches Zeugs hatte. Und er hatte ja auch noch Orgeldienste am Wochenende zu versehen, denn das Stipendium allein reichte hinten und vorne nicht.
    Bei den BWLern lernte er Schurig kennen. Dort waren zwar weniger Kerzen-Muffins als bei den Kirchenmusikern im Umlauf, aber auch hier fiel gleich auf, dass Schurig reifer als die anderen Kommilitonen war. Er strahlte eine Bestimmtheit und Kompetenz aus, die den Geschäftsmann ahnen ließ. Er hatte immer etwas Geld in der Tasche für ein paar Bier in der Kneipe, auch wenn Torat nicht wusste, woher. Denn mit seinen Eltern hatte Schurig genauso wenig zu tun wie Torat selbst. Torat konnte da nicht wirklich mithalten, aber er tat, was er konnte. Mit Schurig hatte er zum ersten Mal das Gefühl, dass hier das richtige Leben begann. Es war ein erhebendes Gefühl, in Cafés zu sitzen, über Politik, Wirtschaft, manchmal sogar über Kunst zu diskutieren. Und es war allemal besser, mit Schurig auf eine Party zu gehen als allein. Er hatte eine lockere Art, die Mädchen anzusprechen, von der Torat sich abguckte, was abzugucken war.
    Nach dem Studium hatten sie sich dann aus den Augen verloren. Torat wusste nicht mal, ob Schurig seinen Abschluss gemacht hatte. So viel er zu Politik und Wirtschaft zu sagen wusste, bei diesem Thema blieb er vage. Als das gemeinsame Studentenleben vorbei war, hatten sie nicht mehr viel gemeinsam.
    Aber einige Monate nachdem Torat schließlich die Stelle in Amorbach angenommen hatte, tauchte Schurig dort auf. Wollte ein paar Nächte bei ihm unterkommen. Das war eigentlich nicht gerade passend, denn Torat wohnte zur Untermiete. Aber Schurig akzeptierte kein Nein als Antwort, das war noch nie seine Art gewesen. Er wickelte Torats Vermieterin mit seinem Charme ein, bis sie ihn geradezu nötigte, über Nacht zu bleiben. Und dann fing die Situation an, außer Kontrolle zu geraten.
    –
    Als Henry um 15.30 Uhr das Café betrat, war es rappelvoll. Aber damit hatte er gerechnet und war extra früh gekommen. Er sah sich um. Hinten in der Ecke am Fenster saß ein junges Paar, neben dem noch zwei Sessel frei waren. Henry stellte sich an der Theke an. Vor ihm standen Frauen und Mädchen, meist in Zweiergrüppchen, Tüten in der Hand, fröhlich schwatzend. Elisabeth liebte Starbucks, deshalb hatte er diesen Ort gewählt. Er selbst fühlte sich hier immer etwas unwohl. Es gab zu viele Kaffeesorten mit verwirrenden Zutaten und komplizierten Namen. Seit Henry einmal vor einem Frankfurter Starbucks auf einer Tafel die Werbung für eine „Guten-Morgen-Latte“ mit Muffin 3,50 Euro gelesen hatte, war er immer befangen, wenn er diese Milchkaffees bestellen sollte. Die Verkäufer nannten sich „Barista“, auch die Männer, was war das für ein Name? Aber er musste zugeben, dass sie immer sehr freundlich waren. Als er dran war, bestellte er einen Kaffee-Latte. Das klang unverfänglich.
    „Und dein Vorname?“ Der Barista hatte ein solariumgebräuntes Gesicht und trug Ohrringe.
    „Äh. Henry. Und wie heißen Sie?“
    Der Barista schenkte Henry ein strahlendes Lächeln und sagte: „Ich heiße Rafael, mein Lieber. Deinen Kaffee bekommst du da drüben.“
    Wenig später bahnte Henry sich mit einem Kaffeebecher, auf dem „Ernie“ stand, einen Weg zu der Sitzgruppe mit dem jungen Paar. Er fragte, ob der Platz neben dem Mann noch frei sei. Die jungen Leute nickten. Sie hatten ihre Getränke schon ausgetrunken. Er würde sich diese Sitzgruppe ersitzen und sie verteidigen, bis die anderen kamen. Henry ließ sich nieder und sah auf die Uhr. Jetzt musste er nur noch warten. Er war nervös.
    Elisabeth betrat das Café in freudiger Erwartung. Sie sah sich um und entdeckte Henry in einer gemütlichen Fensternische. Allerdings hatte er eine Vierer-Sitzgruppe ausgesucht, schöner wäre ein lauschiges Plätzchen zu zweit. Aber dazu war es wohl zu voll gewesen. Sie kämpfte sich zu ihm durch und

Weitere Kostenlose Bücher