Sterbelaeuten
küsste ihn. Er stand auf.
„Soll ich dir etwas holen?“
„Oh, ja. Das wäre nett.“
Sie gab ihre Bestellung bei Henry auf. „Hängst du auf dem Weg meinen Mantel an die Garderobe?“ Sie hielt ihm den Mantel hin.
„Ach, leg ihn doch auf einen der Sessel, dann setzt sich hoffentlich keiner zu uns.“ Henry machte sich auf den Weg zur Theke. Er sah auf die Uhr. Elisabeth sah ihm nach. Das war nicht Henrys Art. Er lud immer jeden freundlich ein, sich daneben und dazuzusetzen und fand es unsozial, Plätze zu reservieren. Na ja, ihr sollte es recht sein. Sie setzte sich. Heute wollte er wohl wirklich ungestört mit ihr sein.
Als Henry mit Elisabeths Kaffee und Kuchen wiederkam, ging die Tür auf. Elisabeths Herz sank, als sie Thomas erkannte. Wieso kam der ausgerechnet heute hierher? Das war auch wirklich nicht seine Art Café, fand Elisabeth. Ihre Stimmung hellte sich etwas auf, als sie sah, dass Thomas in Begleitung war. Eine hübsche, elegant gekleidete Frau mit schwarzem Pagenschnitt betrat das Café an seiner Seite und sprach mit ihm. Dann würde er sich vielleicht nicht zu ihnen setzen.
„Schau mal, was für eine Klassefrau Thomas im Schlepptau hat.“ Elisabeth stieß Henry mit dem Ellbogen in die Seite.
„Ach, da sind sie ja!“ Henry stand auf und winkte Thomas und der Frau zu, die sich suchend umsahen.
„Wie?“ Elisabeths Gesichtsausdruck zeugte von angestrengten Denkvorgängen. Thomas sah auch nicht besonders intelligent aus, registrierte sie eher nebenbei. Und Henry sah schuldbewusst aus, als hätte er einem Kind den Schoko-Nikolaus weggegessen.
„Also, Elisabeth, darf ich vorstellen, das ist Eva-Maria Müller-Rohr und Stein.“
Die Frau strahlte Elisabeth an und streckte ihr die Hand entgegen. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Elisabeth.“
Elisabeth schüttelte die Hand, aber nur, weil sie gut erzogen war. Sie sah Thomas an. „Hallo, Thomas“, sagte sie und hoffte, es käme möglichst neutral rüber. Sie wollte bei der ersten Begegnung mit seiner neuen Freundin nicht unfreundlich wirken, falls diese Steinmüllerin doch Thomas’ Freundin war, was sie für Henry hoffte. Trotzdem wollte sie auch nicht so tun, als sei alles in bester Ordnung zwischen ihnen. Sie war verwirrt.
Ach, da sind sie ja, hatte Henry gesagt. Jetzt begriff sie: Henry hatte diese Begegnung zwischen ihr und Thomas’ neuer Freundin inszeniert, weil er hoffte, dass Elisabeth und Thomas sich vor ihr nicht streiten, sondern vielmehr ihren Streit angesichts der jungen Liebe zwischen Thomas und der Klassefrau beilegen würden. Irgendwie so musste es sein.
„Wollen wir uns setzen?“, fragte Henry. „Und was wollt ihr trinken und essen? Ich hole euch was.“
Klar, er suchte das Weite. Beide wollten einen Milchkaffee und nichts zu essen. Thomas und seine Freundin schälten sich aus ihren Jacken und Thomas ging sie aufhängen. Die Klassefrau ließ sich fröhlich lächelnd nieder. Anscheinend war sie über beide Ohren in Thomas verliebt, was Elisabeth ihm gönnte. Klar war sie sauer wegen der Krippenfigurensache, aber ganz grundsätzlich liebte sie Thomas. Er war einer ihrer besten Freunde und sie wünschte sich für ihn, dass er glücklich war. Er hatte vor Jahren seine Frau verloren und war seitdem keine Beziehung eingegangen. Elisabeth war eigentlich davon ausgegangen, dass Thomas ein Auge auf Stephanie geworfen hatte, aber vielleicht irrte sie sich oder vielleicht war Stephanie nicht interessiert. Es wäre jedenfalls toll, wenn er wieder jemanden fände, dachte Elisabeth. Aber woher kannte Henry Thomas’ Freundin überhaupt, wenn sie sie noch nie gesehen hatte?
Thomas kehrte von der Garderobe zurück und setzte sich zu Elisabeth und der Klassefrau. Keiner sagte etwas. Die Frau lächelte weiter, bis Elisabeth sich zu fragen begann, ob sie Gesichtslähmung hatte.
„Ganz schön kalt heute“, sagte sie schließlich unter voller Beibehaltung der Lächeloffensive.
„Hm“, sagte Thomas. Dass die Klassefrau so verschossen in ihn zu sein schien, hatte offenbar nichts an seiner mürrischen Grundhaltung geändert, dachte Elisabeth. Benahm er sich ihr gegenüber immer so? Wie waren sie dann überhaupt zusammengekommen?
Henry kam zurück. „Ach, jetzt habe ich nur einen Löffel mitgebracht“, sagte er.
„Das macht nichts“, murmelte Thomas. „Nehmen Sie ihn“, sagte er zu der Klassefrau.
Elisabeth riss die Augen auf. Nehmen Sie ihn? Waren die beiden per Sie? Dass diese Ultra-Frommen keinen Sex vor der Ehe
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