Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
Vom Netzwerk:
schlecht Nein sagen, wenn uns so was als Spende angeboten wird.“
    „Ist ja auch schön, so ein großer Baum“, sagte Elisabeth.
    Henry hörte sein Herz in der Brust pochen. Die Stille, die jetzt eintrat, hatte etwas Instabiles. Sie war eine Seifenblase zwischen ihnen inmitten des geschäftigen Cafés. Alle schienen etwas erschöpft. Elisabeth trank von ihrem lauwarmen Kaffee. Frau Müller-Rohr und Stein sagte auch nichts.
    „Vielleicht könnten wir die Figuren auf den Altar stellen“, sagte Henry.
    „Auf den Altar?“ Thomas sah skeptisch aus. „Kann man das machen? Ich meine, da gehören doch nur Brot und Wein und Kerzen hin.“
    „Und die Bibel“, sagte Elisabeth.
    „Stimmt“, sagte Thomas.
    Henry sah von Elisabeth zu Thomas. Die beide hatten nicht alle Tassen im Schrank. Zwei Wochen lang waren sie sich spinnefeind, machten ihm das Leben schwer, so dass er in seiner Verzweiflung Frau Müller-Rohr und Stein im Pfarrkonvent vom Fleck weg engagiert hatte, und jetzt machten sie einen auf Soulmates. Am liebsten würde er beiden seinen Kaffee ins Gesicht schütten. Er zwang sich, die Hände ruhig zu halten und biss sich auf die Lippen, um nichts zu sagen, was diese „Zauber-der-Weihnacht-Stimmung“ in Gefahr bringen würde.
    „Wenn man jetzt sagen würde, die Krippenfiguren, also die ganze Krippenszene, erzählt die biblische Weihnachtsgeschichte, dann wäre das auch nicht anders, als läge die Bibel auf dem Altar, die dort ja, wie wir uns einig sind, hingehört“, sagte Henry.
    Thomas überlegte lange. Elisabeth fand die Idee gut, wollte aber nichts sagen, wodurch Thomas sich vielleicht überfahren fühlen konnte.
    „Das klingt vertretbar“, sagte Thomas schließlich. Er lächelte sogar. „Das wäre ein echter Ehrenplatz für die Figuren.“
    „Ja, dann kann man sie auch von den hinteren Reihen sehen“, stimmte Elisabeth zu. Sie lächelte Thomas an. Er lächelte zurück. Elisabeth fielen Wackersteine vom Herzen, von denen sie gar nicht mehr richtig gewusst hatte, dass sie die ganzen Tage über dort gewesen waren. Es fühlte sich wie die halbe Chinesische Mauer an.
    „Danke, Frau Steinmüller“, sagte sie. „Sie sind echt eine Klassefrau.“
    –
    Das Küchenfenster der Heinemanns war geschmackvoll mit Strohsternen geschmückt und wurde von Kerzen beleuchtet, die auf der Fensterbank standen. An der Haustür hing ein Mistelzweig, mit einer roten und einer schwarzen Schleife gebunden. Eine Gruppe von circa 20 Menschen hatte sich vor der Haustür versammelt, als Henry und Elisabeth kurz vor sechs eintrafen. Sie stellten sich zu der Gruppe. Man nickte sich zu und einzelne Grüppchen unterhielten sich leise. Henry erkannte diesen IT-Menschen – wie hieß er denn noch? –, der beim Weihnachtsmarkt geholfen hatte und der ihm am Kopierer so auf den Senkel gegangen war. Ilona hielt weiter große Stücke auf ihn. Er war im Gespräch mit Frau Schuster, einer älteren Dame, die ihn auch ganz verzückt ansah.
    „Ach, schau mal!“ Elisabeth knuffte Henry in die Seite und flüsterte: „Da ist der Mann, der auch beim Weihnachtsmarkt geholfen hat, der neu in unserer Gemeinde ist. Weißt du jetzt, wie er heißt?“ Henry schüttelte den Kopf und musste auch nichts mehr sagen, da Stephanie vor die Tür trat.
    Sie begrüßte die Anwesenden mit einem Weihnachtsgedicht von Joseph von Eichendorff. Sie hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken und als sie fertig war, fügte sie hinzu:
    „So eine gnadenreiche Zeit ist dieses Weihnachtsfest für uns nicht, weil wir unsere Mutter verloren haben. Aber Mutter hat dieses Gedicht geliebt, sie hat es an jedem Weihnachtsabend für uns aufgesagt.“
    Dann holte sie eine Altflöte hervor und spielte einige Weihnachtslieder. Sibylle war nicht zu sehen. Ein paar winzige Flocken, die nicht liegenbleiben würden, es sei denn, sie hätten noch ein paar Milliarden Kollegen im Schlepptau, fielen dekorativ vom Himmel.
    Alicja und Antoni standen am Rand in der hintersten Reihe. Antoni erkannte einige Leute, die er auch in der Messe gesehen hatte. Die Heinemanns waren evangelisch, aber das war so eine von diesen gemischten, „ökumenischen“ Aktivitäten, die beide Kirchen gemeinsam veranstalteten. Antoni hatte Stephanie natürlich schon oft musizieren hören, aber dieses Mal berührte die Musik ihn besonders, vielleicht weil er wusste, wie schwer es Stephanie fiel, diese Veranstaltung durchzustehen. Er hatte gehofft, beide Schwestern noch einmal zusammen spielen zu hören. Aber

Weitere Kostenlose Bücher