Sterbelaeuten
ich dir mal was sagen, Junge. Und euch auch!“ Anhalt funkelte die Runde an, die sich um Christian und ihn gebildet hatte und den Schlagabtausch sichtlich genoss. Anhalt stand auf. Jetzt gab es eine Rede.
„Habt ihr euch in den letzten zwanzig Jahren mal in diesem Land umgesehen? Ist euch was aufgefallen? Hm? Zum Beispiel, dass wir auf dem besten Wege sind auszusterben? Dass unsere braven, fleißigen Kinder alles Mögliche im Kopf haben, außer Kinder zu machen? Wer soll euch denn mal pflegen, wenn ihr alt seid? Wer soll euren Bus fahren, wenn ihr nicht mehr Auto fahren könnt? Wer repariert euer Haus? Eure Enkel sicher nicht. Die meisten von uns werden gar keine haben. Dieses Land verwandelt sich in ein gigantisches Altersheim, aber ein Altersheim ohne Pfleger. Ohne Köche. Ohne Hausmeister.“
„Jetzt mach mal halblang, Gerald.“ Neumann schüttelte den Kopf.
„Und wenn es so wäre. Glauben Sie im Ernst, dass uns ausgerechnet mit Armutseinwanderern aus Rumänien geholfen wäre, die keine Schulausbildung haben? Das ist doch Einwanderung in die Sozialsysteme, sonst nichts.“ Christian schüttelte den Kopf.
Beifälliges Gemurmel allenthalben.
„Ihr denkt immer in denselben Mustern. Wenn wir so weitermachen, wie bisher, ja, dann wird das eine Katastrophe.“ Anhalt machte eine Pause und diesmal unterbrach ihn keiner. „Denkt doch mal nach! Die Roma oder Rumänen, die jetzt schon hier sind, in den Kellerwohnungen in Mannheim, die Kinderbanden auf der Zeil. Die sind doch eh schon hier. Die werden von Verbrecherbanden hier eingeschleust und zum Stehlen gezwungen. Die beantragen doch keine Sozialhilfe. Das wird weder besser noch schlimmer mit denen, wenn die Reisefreiheit kommt. Die sind heute schon da. Da wird ein ganzes Volk von einer Mafia unterdrückt und systematisch von der Bildung ferngehalten, damit die Mafia immer wieder neue Kinder hat für die Raubzüge und die Prostitution.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Bierglas und setzte es ab, so dass man hören konnte, wie das Glas auf den Tisch krachte.
„Aber wenn ehrliche Familien es trotz und gegen die Mafia schaffen, nach Deutschland zu kommen, und in Deutschland leben wollen, auf eine bessere Zukunft hoffen ... Ja, dann lasst sie doch kommen! Die haben Kinder, jede Menge. Da müssen wir halt dafür sorgen, dass die in die Schule gehen. Da müsst ihr halt was machen, wenn ihr unter der Woche vormittags Kinder auf der Straße seht.“ Anhalt sah Paul an. „Die muss die Polizei einsammeln und den Eltern wird gesagt, wenn die Kinder nicht zur Schule gehen, gibt es keine Sozialhilfe mehr. Ich wette, der Großteil der Familien schickt seine Kinder sowieso zur Schule.“
„Wir haben doch jetzt schon nicht genug Lehrer.“ Ein Einwand aus den eigenen Reihen, von Anhalts Grünen-Parteifreundin Elke.
„Weil wir Personalplanung auf der Grundlage einer aussterbenden Gesellschaft betreiben. Weil wir nicht mit Kindern rechnen, die dazukommen. Aber das ist falsch. Wir müssen die Einwanderkinder mit offenen Armen empfangen und sagen, hier kommen unsere Krankenschwestern und Busfahrer und Ärzte und Müllmänner von morgen. Und das muss uns was wert sein. Lehrer, Sozialarbeiter, Polizei, Wohnungen ...“
„Du bist so ein Sozialromantiker!“ Das war Tanja, die Kellnerin im Herrenhaus.
„Nein, Tanja.“ Anhalt sah Tanja an und blickte dann in die Runde. „Ich bin der Einzige, der dem Horrorszenario ins Gesicht sieht und einen Weg sucht, es zum Guten zu wenden. Ihr suhlt euch in Jammerklagen über die bösen Rumänen, die bald alle kommen und gegen die man was tun muss. Das wird euch nicht weiterhelfen. Wir haben gar keine Wahl. Die Entscheidungen sind längst irgendwo in Europa gefallen und die nimmt auch keiner mehr zurück. Und selbst wenn sie es tun würden. Die Rumänen und die Bulgaren übrigens auch, die lassen sich das nicht mehr gefallen. Die wollen nicht im Slum verrecken und ihre Kinder auf den Strich und zum Stehlen an die Mafia verkaufen, während wir überlegen, ob wir lieber die Bio-Eier oder die Freilandeier kaufen. Die werden kommen. Und entweder wir stellen uns auf sie ein oder wir kriegen hier wieder Rassismus und noch mehr Verbrechen und Chaos. So schaut’s aus.“ Anhalt setzte sich wieder hin. „Ob’s euch passt oder nicht.“
Auf Anhalts Rede hin war es einen ungemütlichen Moment lang still und erst langsam wurde wieder Gemurmel laut und ging in Gespräche an den einzelnen Tischen über. Henrys vorweihnachtliche Bier-Stimmung
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