Sterbelaeuten
ungefähr läuft es aber“, sagte Paul. „Die gehen nach altmodischen Namen wie Heinrich und Hubert und Elfriede oder so. Die rufen sie an, ein-, zweihundert Anrufe am Tag tätigen die. Wenn zweihundert auflegen und einer beißt an und sie erleichtern ihn um, sagen wir, 10.000 Euro, dann lohnt es sich schon für diese Verbrecher.“
„Aber dass die Leute denen so einfach das Geld geben.“ Henry konnte sich das nicht recht vorstellen. „Diese Generation hat doch hart für das Geld gearbeitet. Es sich vom Munde abgespart. Selbst wenn die glauben, dass es sich um ihre Enkel oder Neffen handelt, wieso werfen sie denen ihr letztes Erspartes einfach so in den Rachen?“
„Diese Anrufer müssen total geschickt sein“, sagte Thomas. „Die sind richtig geschult und manipulieren die alten Leute nach Strich und Faden.“
„Die gaukeln den Opfern irgendwelche Notlagen vor, in denen sie stecken, oder drohen, dass sie sie nie mehr besuchen“, erklärte Paul. „Aus Sulzbach wurde übrigens letzte Woche noch so ein Fall angezeigt. Das war bei einer alten Dame. Gleiche Masche. Sie sollte Geld von der Bank abheben und einem angeblichen Freund ihres Neffen geben. Da hat die Bank aber aufgepasst und die Dame überredet, doch noch mal bei ihrer Schwester nachzufragen, ob das seine Richtigkeit hat. Die Sache flog dann auf.“
„Dann hättet ihr dem Abholer doch eine Falle stellen können“, sagte Henry.
„Wie stellst du dir das vor?“ Paul nahm einen großen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. „Die alte Dame als Lockvogel auf einen Verbrecher loszuschicken? Die war sicher ohnehin schon völlig mit den Nerven fertig. Außerdem bringt es meistens nichts, die Abholer einzukassieren. Die wissen in der Regel nichts über die Organisation oder über ihre Auftraggeber. Mit denen sind sie nur ganz locker verbunden. Die Auftraggeber sitzen im Ausland, z. B. in Polen oder Serbien, wo sie richtige Callcenter unterhalten sollen, in denen die Mitarbeiter den ganzen Tag eine Nummer nach der anderen durchtelefonieren.“
„Aber wie können die denn so akzentfrei Deutsch, dass die Opfer sie tatsächlich für ihre Verwandten halten?“, wunderte sich Thomas.
„Anscheinend finden sie genügend Deutsche, die dabei mitmachen“, sagte Paul. „Ich hab gehört, dass es sich bei diesen Verbrechern um Familien-Clans von polnischen Roma handelt. Liest man immer mal wieder in der Zeitung, obwohl das von Roma- und Sinti-Verbänden bestritten wird. Wie auch immer: Die Drahtzieher sind jedenfalls professionell organisiert wie eine richtige Mafia.“
„Und wenn demnächst die Reisefreiheit für Rumänien kommt, na, das kann heiter werden“, sagte Christian, der sich ungefragt dazugesetzt hatte. Henry erinnerte sich an Christians Abneigung gegen Antoni und fragte sich, ob dieser tatsächlich die Stelle bei Frau Hensch angenommen hatte. Er würde bei Gelegenheit mal nachhorchen.
„Was willst du denn damit sagen?“ Jetzt wurde es spannend. Die Stammgäste lehnten sich zurück, in Erwartung der Diskussion, die jetzt kommen musste. Anhalt senior hatte sich in das Gespräch eingeschaltet. Gerald Anhalt war Ökobauer und als Dorfgrüner verschrien.
„Na, das ist doch kein Geheimnis, dass die Rumänen in Scharen nach Deutschland kommen werden“, verteidigte Christian sich. „Die hausen doch jetzt schon zu fünfzig in einer Wohnung, in Mannheim und Düsseldorf und Berlin. Wenn die erst mal alle legal hier herkommen dürfen, und dann haben die ja auch alle Anspruch auf Sozialhilfe. Na dann Prost.“
Henry dachte an die Leute, die einige Male am Pfarrhaus geklingelt und gebettelt hatten. Eine ganze Familie, vom Großvater bis zum Baby, sieben oder mehr. Schwarze Haare, schwarze Augen. Der Vater sprach aufgeregt in seiner Sprache auf ihn ein, Henry verstand kein Wort. Als er einige Minuten schweigend gewartet hatte, fing der Vater an, ihm auf Deutsch zu schmeicheln: „Bitte, eine kleine Spende. Die Kinder brauchen etwas zu essen, bitte lieber Herr.“ Die Frau mit dem Baby auf dem Arm hatte auf den Boden gespuckt, als es nur Einkaufsgutscheine gab und kein Geld. Diesen Blick würde er so schnell nicht vergessen. Es kamen viele Bettler zum Pfarrhaus, aber diese waren die einzigen, die ihm regelrecht Angst machten.
„Recht hat er“, stimmten einige Christian zu.
„Die schleusen hier Kinderbanden ein, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als Touristen zu beklauen.“ Der Beifall hatte Christian Mut gemacht.
„Jetzt will
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