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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
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war verflogen. Er dachte daran, wie hart Roma und Sinti um die Anerkennung ihres Leidens unter der NS-Herrschaft kämpfen mussten. Musste man dieser Volksgruppe nicht ohnehin einen Bonus zugestehen, weil sie unter Verfolgung gelitten hatten und immer noch litten? Oder war das auch Quatsch, musste man nicht einfach immer nur den Menschen sehen, egal was gewesen war? Und welcher Mensch verließ ohne Not seine Heimat? Welcher Mensch ließ seine Kinder freiwillig stehlen oder, schlimmer noch, überließ sie der Prostitution?
    „Wusste gar nicht, dass Anhalt die Gabe der prophetischen Rede hat“, sagte Paul.
    „Ach, doch. Du solltest ihn mal in der Gemeindevertretung hören“, sagte Thomas. „Aber noch mal zu den Enkeltrick-Anrufen: Wenn es schon hier in Sulzbach kurz hintereinander zwei solcher Anrufe gab, finde ich das beunruhigend.“
    „Vor allem, weil die Dunkelziffer um einiges höher sein dürfte“, sagte Paul. „Oft ist es den Opfern zu peinlich, die Polizei einzuschalten. Das Geld ist ja eh weg.“
    Am Eingang wurde es laut. Eine Gruppe drängte in die Wirtschaft. Die Neuankömmlinge steckten die Köpfe in den Nebenraum, um zu sehen, ob noch Platz wäre. Es waren Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, die die Handballer begrüßten.
    –
    Zwei Stunden und je 3000 Kalorien später saßen Elisabeth und Anke beim Espresso. Anke sah auf die Uhr.
    „Ich sollte nicht so spät ins Bett“, seufzte sie. „Ich hab mich breitschlagen lassen, einen Datenraum zu machen, morgen, in der Nähe von München.“
    „Was denn für einen Datenraum? Und dann noch am Samstag?“, fragte Elisabeth.
    „Ach, todlangweilig“, winkte Anke ab. „Ein Mandant von uns will irgend so einen Autoteile-Zuliefer-Betrieb kaufen. Wir müssen mit ihm hinfahren und die Geschäftsbücher prüfen, du weißt schon, die Bilanzen, Auftragsbücher, Arbeitsverträge, Mitarbeiterbespitzelungsergebnisse, Betriebsratsbestechungskonten – das Übliche halt. Der Verkäufer hat alle Unterlagen in ein Hotel schaffen lassen, damit die Belegschaft nichts mitbekommt. Deswegen muss es auch am Wochenende passieren. Montagmorgen sollen die Akten wieder fein säuberlich in der Firma im Regal stehen. Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass sie das hinbekommen, ohne dass es jemand merkt. Na ja, im Hotel ist der Datenraum. Das ist ein Konferenzraum, in dem sitzen wir dann, ein Kollege und ich und der Mandant, den lieben langen Tag und lesen und scannen und diktieren, bis wir alles gesichtet haben oder bis wir vor Langeweile tot umfallen, je nachdem, was zuerst passiert.“
    „Und wieso hast du dich für so ein todlangweiliges Unterfangen breitschlagen lassen?“, fragte Elisabeth. Sie roch förmlich, dass es hierfür ein Motiv geben musste, das mit Sicherheit alles andere als todlangweilig war.
    „Ach, ich weiß nicht“, antwortete Anke gedehnt. „Ich hätte auch einen Frischling hinschicken können. Aber ...“ Sie machte eine versonnene Pause.
    „Aber?“, bohrte Elisabeth.
    „Da ist dieser süße neue Mann in M&A“, rückte Anke langsam heraus.
    „Süßer neuer Mann in M&A? Sag mal, habe ich ein Déjàvu? Hast du Mr. Sozialpunkt schon vergessen? Der war doch auch so ein M&A-Fritze.“
    „Ach, vergiss ihn. Der war einfach eine Panne.“ Anke wischte die Erinnerung an ihre Flamme aus dem Frühjahr mit einer Handbewegung fort.
    „Mark ist wirklich süß. Er ist lustig.“
    „Und der hat dich ‚breitgeschlagen‘“, resümierte Elisabeth.
    „Na ja, er hat etwas sehr Überzeugendes“, sagte Anke verträumt.
    „Mann, Anke, diese Typen sind grauenhaft. „Elisabeth dachte an die Jungs aus ihrem alten Unternehmen, die mit Unternehmenskäufen beschäftigt waren. Sie arbeiteten immer in Projekten, waren dauernd unterwegs. Alles musste immer sofort und superschnell gehen. „Sie sind total macho.“
    Anke nickte begeistert.
    „Wenn sie eine Frau ins Bett kriegen, nennen sie es ‚closing‘ “.
    Anke lachte: „Das hast du dir ausgedacht, gib’s zu!“
    „Und Workaholics“, schob Elisabeth unbeirrt nach, da macho für Anke offensichtlich ein Qualitätsmerkmal war. „Ich kannte mal einen, der schrieb auf Dienstreisen im Zug Verträge per SMS, weil seine Mandanten nicht die drei Stunden warten konnten, bis er wieder im Büro war und online.“
    Anke blieb unbeeindruckt.
    „Wie lang geht denn der Datenraum?“, fragte Elisabeth.
    „Bis übermorgen.“ Anke versuchte, ein gleichmütiges Gesicht aufzusetzen, aber Elisabeth sah das Blitzen in

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