Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
glühenden Hartholzscheiten entfernt, über denen auf einem schmiedeeisernen Grillrost riesige Steaks brutzelten. Auf unbestimmbare Weise schien alles genau richtig zu sein und auch richtig zu riechen. Sowohl die Gäste als auch die Kellner strahlten einen gewissen Ernst aus, obwohl sich offenkundig niemand allzu ernst nahm. Woran auch immer dies lag, für beide war das genauso selbstverständlich wie das Tafelsilber und die Gläser auf dem Tisch oder auch die Impfnarbe auf Mirellas Arm. Ihr Haar war heute offen und wuschelig, und sie trug ein ärmelloses schwarzes Satintop, das viel von ihrem Busen freigab und die prachtvollen Arme voll zur Geltung brachte. Auf einem davon war weit oben ein kleiner blasser Stern, der niemals braun werden würde, glänzend, beinahe durchsichtig und unendlich rührend und lieblich.
Sie saßen kaum, da wurde auch schon eine Platte mit luftgetrocknetem Schinken und anderen Antipasti gebracht, dazu frisch gebackene Grissini und eine Karaffe Wasser »aus meiner eigenen Quelle in den Bergen«, wie der Inhaber mit genau der richtigen arroganten Nonchalance erklärte. Dann verkündete er, dass es ihm heute gelungen sei, die ersten frischen Pilze zu besorgen, die durch den für die Jahreszeit ungewöhnlichen Regen der letzten Tage überall in den Buchenwäldern zu sprießen angefangen hätten, und schlug einen Salat aus òvali und rositi vor - »am feinsten im Geschmack« -, gefolgt von Pasta mit noch mehr Pilzen und danach ein Steak fiorentina für zwei Personen, »da Sie so ein junges und hübsches Paar mit gesundem Appetit sind!«. Nachdem seine Quasibefehle Zustimmung gefunden hatten, eilte der Inhaber geschäftig von dannen, um andere Gäste herumzukommandieren, während Tom und Mirella sich durch die rohen, gehobelten weißen und rosafarbenen Pilze aßen, die mit Öl und Zitronensaft besprenkelt waren, die hausgemachten Eierbandnudeln, auf denen große Stücke öliger porcini lagen, das beste Rindfleisch, das Tom je gegessen hatte, einen fantastischen Salat, kräftigen Schafskäse und dunkle Schokolade von Amedei - »siebzig Prozent reiner Kakao«, wie der Inhaber sie informierte -, die zum Kaffee gereicht wurde.
Alles war fabelhaft und schockierend einfach, jeder Gang präsentierte sich ganz stolz als das, was er war, ohne jeden Schnickschnack. Tom war begeistert, empfand aber gleichzeitig einen gewissen beruflichen Neid. Die Restaurants, in denen er gearbeitet hatte, konnten auch gut kochen, aber es bestand immer die Tendenz, ein klein bisschen zu weit zu gehen, um nicht hinter den anderen Gastrobordellen in der Stadt zurückzubleiben, die viel zu weit gingen. Diese Leute hier besaßen mehr Würde. Das Essen, das sie servierten, schmeckte nicht nur gut, es bewies auch guten Geschmack.
Doch Toms bleibende Erinnerung an diesen Abend, von der er wusste, dass sie noch da sein würde, wenn er alles andere längst vergessen hatte, hatte nichts mit dem Essen zu tun. Das Gewitter, das die Stadt am Nachmittag erschüttert hatte, war kurz, aber extrem heftig gewesen, deshalb hatte man vernünftigerweise annehmen können, dass der Zorn der rachsüchtigen Götter, die diese Gegend beherrschten, für den heutigen Tag beschwichtigt worden wäre. Doch in Kalabrien war es nicht immer klug, sich von der Vernunft leiten zu lassen. Mirella und Tom waren gerade mitten in ihrem Pastagang, als die » Tuba mirum « des Dies irae schaurig durch das grabartige Gewölbe des Restaurants schallte. Von überall war nervöses Gelächter zu hören, dann wandten sich alle wieder ihrem Essen zu, doch einen Augenblick später gingen zum zweiten Mal an diesem Tag sämtliche Lichter aus. In einer kurzen Ansprache aus dem Dunklen informierte der Inhaber seine Gäste, dass umgehend für alternative Beleuchtung gesorgt würde.
Was auch geschah. Im schummrigen Licht der glühenden Holzscheite in der großen Wanne unter dem Grillrost stellten die Kellner auf jeden Tisch Kerzen, und nach und nach erwachte das Lokal zu neuem Leben, aber zu einem exquisiteren, sanfteren und subtileren Leben, intimer und in größerem Einklang als zuvor.
»Bienenwachs«, bemerkte Mirella, während sie sich vorbeugte, um an der honigfarbenen Säule mit der ovalen Flamme zu schnuppern und sie zu berühren.
Tom antwortete nicht. Ihm war gerade klar geworden, dass der abgedroschene Ausdruck »sich verknallen« genau das bedeutete, was das Wort besagte. Es gab einen Knall, ein plötzlicher glückseliger Taumel erfasste einen mit Gefühlen von
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